Eleanor Rigby
strahlen und sich zum Himmel schwingen! Aber nein, mein Körper ist die Prüfung, die ich im Leben zu bestehen habe.
~10~
William scheuchte die Jungs nach draußen, als ich die Geschichte von der Leiche zu Ende erzählt hatte. Ein einziges Mal im Leben hatte ihre Tante Liz sie für eine kurze Zeit in ihren Bann gezogen. Ich habe den Verdacht, dass Hunter und Chase mich darüber hinaus eine Zeitlang für eine Zauberin hielten, wenn auch eine langweilige ohne Essen im Kühlschrank.
Meine Erleichterung, dass sie weg waren, kam dem Gefühl gleich, als hätte ich nach einem ausgiebigen Mahl den Reißverschluss meiner Hose geöffnet. Dies war einer der wenigen Momente, in denen ich mich nicht einsam fühlen musste, nur weil ich allein war. Wenn ich's mir recht überlege, habe ich eigentlich noch niemandem erzählt, dass ich einsam bin. Wem sollte ich es auch erzählen — Donna? Sämtlichen Anwesenden in der Cafeteria? Leslie und William, die sich verpflichtet fühlen, regelmäßig nach ihrer alleinstehenden Schwester zu sehen? Ich lasse mir nichts anmerken. Ich stelle mir nur vor, wie die Menschen, die mir nahestehen, beim Autofahren über mich reden.
Ist Liz einsam?
Glaub ich nicht.
Ich denke, sie ist die geborene Außenseiterin. Sie genießt es wirklich, nicht mit anderen Menschen zusammen zu sein.
Sie ist auf ihre Weise sehr tapfer.
In den einschlägigen Büchern steht immer, ich solle das Alleinsein bewusst genießen, aber ich habe die Autoren gegoogelt: Die sind alle verheiratet, haben Kinder und Enkelkinder und sind Mitglied in irgendwelchen Studentenverbindungen. Ihre gönnerhafte Botschaft lautet durch die Bank: »Okay, ich habe zwar das Glück gehabt, jemanden zu finden, mit dem ich zusammen sein will, aber wenn mein Single-Dasein nur noch ein kleines bisschen länger gedauert hätte, hätte ich den Segen des Alleinseins erkannt, über den ich in diesem Buch schreibe.« Ich kann mir gut vorstellen, wie diese Leute an ihrem Schreibtisch sitzen und mit abgeklärter Miene Platitüden wie diese niederschreiben: »Warum einsam sein, wenn man das Alleinsein genießen kann?«
Also wirklich — mein ganzes Single-Dasein lang habe ich nicht ein einziges Mal mit dem Gedanken gespielt, das Alleinsein als Segen zu empfinden.
Ich habe alle Bücher zu dem Thema gelesen, die ganze Palette vom trivialen Ratgeber bis hin zur akademischen Abhandlung, von Gut drauf als Single bis hin zu Analyse des inneren Dialogs — Strategien zur Optimierung des postmodernen Ich. Die Verfasser dieser Rezeptbücher gegen die Einsamkeit warten ausnahmslos mit lauter verstaubten Autoren vergangener Epochen auf, die es gewagt haben, die Einsamkeit zu thematisieren, ohne sie jedoch beim Namen zu nennen. Immer ist nur von einem Baum, einem Schmetterling oder einem Teich die Rede — tote Schwule des neunzehnten Jahrhunderts, die über Bäume und Seen schrieben, dabei aber nie enthüllten, was wirklich in ihnen vorging. Oder ...
Mir fällt gerade auf, dass ich wie eine verbitterte alte Schachtel klinge.
Aber wenn dein zentrales Nervensystem die ganze Zeit wie ein Dieselgenerator powert und subtile und zarte Emotionen gnadenlos niederwalzt, wie sollst du dann Trost aus Geschichten von altmodischen Schriftstellern über den Einklang mit der Natur schöpfen, über Wanderungen und den Wind in den Bäumen? Heutzutage würden die alle in Lederbars herumhängen.
~11~
Ein Tag verging. Ich stand durch die Medikamente immer noch etwas neben mir, aber es machte keinen Spaß mehr, und die Sentimentalität war auch futsch. Bis zum Freitagmorgen war mein Gesicht wieder zu seiner alten Form geschrumpft. Ich hatte keine Videos mehr und war versucht, Liam anzurufen und ihn zu fragen, ob ich schon wieder zur Arbeit kommen durfte. Doch dann klingelte gegen sieben Uhr morgens das Telefon. Es war die Polizei. Sie fragten, ob ich zum Lions Gate Hospital kommen könnte.
»Wie bitte?«
»Es ist etwas passiert, Ms. Dunn.«
»Passiert? Inwiefern? Um wen geht es?«
»Kennen Sie einen Jeremy Buck, Ms. Dunn?«
»Jeremy Buck?« Da ich ohnehin nicht besonders viele Leute kenne, konnte ich rasch verneinen. »Was hat das mit mir zu tun?«
»Könnten Sie vielleicht einfach zum Krankenhaus kommen, Ms. Dunn? Gestern Nacht wurde ein junger Mann mit einer Überdosis und ein paar Prellungen und Schnittwunden hier eingeliefert.«
»Was?«
»Er hatte keinen Ausweis bei sich, aber er trug ein Notfallarmband. Darauf stand, wenn ihm etwas passieren sollte, sind Sie die
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