Eleanor Rigby
fünfzehnten Jahrhundert nicht mehr als eine Muschel am Strand.
»Du bist zu jung, um zu verreisen«, sagte Mutter.
William, ein Jahr älter als Leslie, sagte: »Sechzehn ist doch ein gutes Alter dafür. Glaubt ihr etwa, sie wird angegrabscht, sobald sie aus dem Flieger steigt? Also wirklich.«
»Aber diese Italiener ...« Meine Mutter war sich nicht so sicher, dass mein Übergewicht und mein unvorteilhaftes Styling die Männer wirklich abschrecken würden.
»Die sind auch nicht anders als die Engländer, Mutter. Männer sind Männer. Mach dir nichts vor.« Dass Leslie mit ihren achtzehn Jahren etwas so Gewagtes wie Klischeehaftes am Essenstisch zu sagen wagte und das auch noch widerspruchslos hingenommen wurde, zeugte von ihrem unerschütterlichen Vertrauen auf ihren Charme und von meinem Mangel daran.
»Ich schätze, du hast Recht«, gab Mutter nach. »Wie sieht's mit Geld aus ?«
»Das bezahl ich selber«, sagte ich. »Ich hab noch gar nichts von der Kohle ausgegeben, die ich mit Babysitten und Zeitungenaustragen verdient habe.«
»Was?« Mein Bruder war erstaunt. »Ist das deprimierend. Gar nichts? Nicht mal für eine Bluse? Oder einen Lippenpflegestift?« »Nein.«
Leslie fragte: »Was ziehst du an?«
Vater, sagte: »Mensch, Leslie! Wer sagt denn, dass Lizzie überhaupt fährt?«
»Ach, lass doch, Neil«, erwiderte Mutter. »Das wird ihren Horizont erweitern.« Sie redete mal wieder so, als wäre ich gar nicht da. »Das arme Ding hat ja noch nicht mal Poster im Zimmer hängen.«
»Na gut.«
Dass ich für die Kosten selber aufkam, war eigentlich alles, was mein spießig-pragmatischer Vater wissen musste.
Vermutlich kann man die beiden als typische Eltern bezeichnen. Mangels schwerwiegenderer Marotten und Neurosen entwickelten sie ein ziemlich zwanghaftes Verhältnis zu Sparsamkeit, Reinlichkeit und einem geregelten Tagesablauf- wie die meisten Eltern. Vater hatte seine Garage, von deren Fußboden man, wenn man wollte, jeden Abend pünktlich um sechs Uhr eines der kostengünstig zubereiteten Gerichte meiner Mutter essen konnte, Strickjacke optional, aber erwünscht.
Mein Vater ist 1985 ums Leben gekommen, als ich fünfundzwanzig war. Er ist auf der Fahrt nach Honolulu auf der Route 78 am Steuer eingeschlafen und geradewegs in einen Isuzu Transporter gerast, in dessen Führerhaus drei junge Leute aus der Gegend saßen. Mutter wurde nicht verletzt und kann sich an nichts erinnern. Komisch - heute kommt es mir vor, als hätte ich ihn kaum gekannt. Da er nie viel geredet hat, weiß ich nur noch wenig von ihm. Wenn man zu still ist, gilt man ab einem gewissen Punkt nicht mehr als nachdenklich oder sensibel, sondern man wird einfach vergessen. Jedenfalls gab er mir am Flughafen fünfhundert Dollar in Lira, was für ihn etwa das Gleiche bedeutete, als würde ein durchschnittlich verdienender Mensch einen Doppeldecker mieten, der Auf Wiedersehen an den Himmel schreibt. Eigentlich war er ein grundgütiger Mensch.
An jenem Abend am Essenstisch sagte Leslie: »Ich glaube, ich habe ein paar Maxi-Pullover, die dir gerade so passen könnten.« »Danke, Leslie.«
»Du wirst lauter blaue Flecke kriegen von all den Männern, die dich in den Hintern kneifen.« William versuchte auf seine Weise den Gentleman zu spielen und mir jungem Ding damit zu schmeicheln, dass mich durchaus jemand begehrenswert finden konnte, so unwahrscheinlich das auch sein mochte.
Mutter sagte: »Hör auf damit, William. Die Reise wird vom Lateinkurs veranstaltet, nicht von deinen Freunden mit ihren heißen Öfen. Du solltest wissen, dass mir dein Freund Allan Blake letzte Woche, als ich auf der Cross Creek ein bisschen zu langsam gefahren bin, den Stinkefinger gezeigt hat. Er wusste nicht, dass ich das war, aber ich habe ihn erkannt, und ich möchte ihn hier nie wieder sehen, verstanden?«
William war immer noch bei meiner Reise. »Ich wette, du verknallst dich in einen Typen, der bei Fiat arbeitet.«
»Marcello«, fügte Leslie hinzu, »ein glühender Idealist. Chianti-Flaschen. Ein verschwitztes Unterhemd - Picknicks neben der autostrada ...«
»Ihm rutscht schnell mal die Hand aus. Er ist furchtbar eifersüchtig ...«
»Aber du würdest für ihn sterben ...«
»Hört auf!« Meine Mutter war entsetzt, dass ihre beiden älteren Kinder nichts als Sex im Kopf hatten. Ihr einziger Trost war offenbar meine unzweifelhafte Jungfräulichkeit. »Wenn Lizzie nach Rom fliegt, wird sie dort all die bedeutenden Kunstwerke besichtigen und ...
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