Eleanor Rigby
war kein besonderes Ereignis. Ich kam mir vor wie eine Art Zauberstein, der keine Wellen schlägt, wenn man ihn ins Wässer wirft. Wie ein Erdhörnchen reckte Donna ihren Kopf über die Trennwand zwischen unseren Arbeitsplätzen und fragte mich, wie es meinem Kiefer ginge. Kaum war das Wort »Gut« aus meinem Mund, als ihr Kopf auch schon wieder verschwand und sie am Telefon irgendeinem Typen Hauptplatinen zu verkaufen versuchte.
Ich startete den Computer und schaute auf den Monitor. Früher hatte ich mir jeden Morgen auf Basis amtlicher Statistiken, denen zufolge Frauen des Jahrgangs 1960 voraussichtlich 76 Jahre alt werden, ausrechnen lassen, wie viele Tage es noch bis zu meinem Tod waren. Im Stillen ging ich immer davon aus, dass ich an meinem Geburtstag 2036 abtreten würde. Das klingt makaber, aber betrachten nicht viele von uns das Leben insgeheim als ein mit einem Ablauftag bedrucktes Milchprodukt, das im mittleren Kühlschrankfach still und leise neben einer unrettbar verlorenen Tüte Salat vor sich hin gammelt? Auf einmal jedoch hatte ich seit Jahren erstmals keine Lust, nach meinem Verfallsdatum zu sehen.
Ich habe noch ein anderes Programm, das mir ausrechnet, dass ich an einem Freitag tausend Jahre alt werde und an einem Montag fünfhundert. Früher hat es mir Spaß gemacht nachzuschauen, ob mein millionster Geburtstag auf einen gesetzlichen Feiertag fällt oder nicht. Doch als ich an jenem Morgen wieder zur Arbeit ging, gab ich meinen Geburtstag in einer Milliarde Jahren ein. Er fällt auf einen Mittwoch, und plötzlich fand ich diese ganze Todesmacke ein bisschen passe. Derartige Gedanken über meinen eigenen Tod sind wohl ein ähnliches Phänomen wie die Faszination, die Leichendarsteller in Film und Fernsehen auf mich ausüben.
Theodore und Mike vom LAN-Team kamen vorbei, um mich zu fragen, ob ich mich an ihrer Lotto-Gemeinschaft beteiligen wollte. Nach kurzem Überlegen lehnte ich ab.
»Bist du sicher, Liz? ›Verbitterte Mitarbeiterin läuft nach verpasstem Lottogewinn Amok.‹«
»Für diese Woche reicht's mir mit schicksalhaften Wendungen.«
Sie schauten mich verständnislos an.
»Ich passe.«
»Selbst schuld.« Und fort waren sie.
Einsame Existenzen sind mit Ritualen gegen die Leere allein verbrachter Abende angefüllt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich darauf keine Lust. Ich musste eine Stunde lang untätig vor meiner Tastatur sitzen, bis mir das endlich klar wurde.
Ich war total weggetreten und hatte jedes Zeitgefühl verloren. Als ich wieder zu mir kam, musste ich daran denken, wie oft ich schon auf dem Weg von A nach B plötzlich festgestellt hatte, dass ich fünf Meilen weit gefahren war, ohne mich daran erinnern zu können. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, unentdeckt etwas Unerlaubtes getan zu haben. Im Grunde hatte sich, bevor Jeremy auftauchte, alles nur darum gedreht: mein Leben so zu arrangieren, dass ich es vergessen konnte, während es stattfand.
Mein Chef, der Zwerg, kam mich besuchen, während ich immer noch das leere Fenster auf dem Monitor anstarrte.
»Jemand zu Hause?«
Ich blickte zu ihm auf. »Oh ... hallo, Liam.« »Hallo, Liz. Geht es dir besser?« »Ja, schon.«
»Was machen die Zähne?«
»Meine Zähne?« Für einen Moment war ich perplex. »Ach ja ... meine Operation ... stimmt, die hatte ich ganz vergessen. Meinen Zähnen geht's gut. Könnte nicht besser sein.«
»Und wie war deine freie Woche?«
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, Liam.« Hale-Bopp? Die Notaufnahme? »Sie war ganz schön turbulent.«
In verschwörerischem Ton sagte er: »Donna meinte, du hast eine ganz dicke Backe gehabt.«
»Hast du was anderes von ihr erwartet?«
Liam lachte. »Nein. Hab ich nicht.«
Liam ...
Liam ist klein, oder vielmehr, er ist kleiner als ich, und ich bin schon klein. (Und außerdem bin ich dick und habe rote, wellige Haare.) Er achtet so penibel auf sein Äußeres, als bezöge er seine Körperpflegetipps aus alten, verschimmelten Esquires mit Artikeln über solch obsolet gewordene Themen wie Richard Nixon oder Schlüsselpartys. Doch ich brauchte nur einen Blick. Komfort-Relax gelegt - Ken hat übrigens Recht, das ist alles ein einziger Schwindel —, und dann sind wir lustigerweise beide eingeschlafen. Nach einer knappen Stunde hat Ken uns geweckt, und prompt hatte ich das Ding verkauft. Außerdem hat sie mir ihre Telefonnummer zugesteckt.«
»Noch mal Glückwunsch. Wie alt ist sie?«
»Ungefähr sechsundachtzig.«
»Nein, wie alt ist
Weitere Kostenlose Bücher