Eleanor Rigby
Mom. Ich hab den Nachmittag frei, und da dachte ich, ich könnte dich mal besuchen.«
»Das ist ja wunderbar. Wie bist du hergekommen?« »Mit dem Taxi.«
Donna war völlig durch den Wind und bekam keinen Satz unfallfrei heraus. Es war interessant zu beobachten, wie sie sich in einen nuschelnden Cheerleader verwandelte. Jeremy zog alle Register. Er bediente sich seines, wie er es nannte, »gewinnenden Lächelns« - ein geübtes Selbstdarstellergrinsen, mit dem er unverzüglich sämtliche Anwesenden für sich einnahm. Kein Wunder, dass er so viele Matratzen verkaufte. Wir drei machten ein bisschen Smalltalk. Diese kleine Unterhaltung definierte das VORHER-Foto meines Lebens und die NACHHER-Version. Ich habe mich nie wieder so beliebt gefühlt.
Als wir gerade über Federkernmatratzen sprachen, kam Kayla nach ihrem Telefonat den Gang herunter. Jeremy drehte sich um, sah sie und kippte auf der Stelle um.
~41~
Ich habe Jeremys Aufzeichnungen noch gar nicht erwähnt. Ich fand sie auf Papierfetzen überall in der Wohnung - von Kaffeerändern, Telefonnummern und Ketchupflecken verunzierte Notizen. Offenbar hatte er nicht vor, sie zu behalten oder zu archivieren; er brachte sie einfach spontan zu Papier und vergaß sie wieder. Doch ich habe sie aufbewahrt. Ich habe sie mit zur Arbeit genommen und zu den Post-it-Zetteln, dem Hustenlöser, den Filzstiften und dem Abdeckstift in meine oberste Schreibtischschublade gelegt.
Jeremy hatte wirklich eine furchtbare Klaue, wobei meine allerdings auch nicht viel besser ist. Der Schönschrift ist das gleiche Schicksal widerfahren wie Schreibmaschinen und Vinyl-Schallplatten.
Hier folgen ein paar Notizen, die ich heute noch habe, mit korrigierter Rechtschreibung ...
Gewehre schießen auf Brotlaibe
Kojoten stolpern mit milchigen Augen einen leeren Freeway entlang
Es gibt zu viel Sonne.
Die Sonne scheint, wann und wo sie will.
Die Nacht ist aus der Mode.
WO ist der richtige Weg?
Wenn die Zeit beginnen musste,
dann muss sie auch irgendwann aufhören.
Was ist, wenn es Gott zwar gibt,
er die Menschen aber nicht besonders mag?
Wir haben nie über diese Aufzeichnungen gesprochen. Ich bin nicht mal sicher, ob Jeremy wusste, dass ich sie aufbewahrte, oder ob er glaubte, ich würde sie wegwerfen. Als er zu arbeiten und seine Medikamente zu nehmen begann, verschwanden seine Visionen, und ich wollte diese Papierfetzen als Beweis dafür behalten, dass es in ihm immer noch diesen anderen Jeremy gab, dem solche Dinge durch den Kopf gingen. Ich meine, er hätte nur ein Wort zu sagen brauchen, und schon würde ich wieder mit ihm auf dem Highway gen Westen kriechen.
Das Leben ist hart. Wir alle brauchen etwas, woran wir glauben können, selbst wenn es totaler Kokolores ist. Bevor Jeremy in mein Leben getreten ist, habe ich nicht besonders viel über jedwede Art von Glauben nachgedacht. Mit seinen Visionen tauchten die ersten Anzeichen eines Erwachens in mir auf. Der arme Jeremy war seine ganze Kindheit lang von einer Familie zur nächsten weitergereicht worden wie ein Pornoheft im Ferienlager. Es fiel ihm schwer, an irgendetwas zu glauben, das über sein unmittelbares Umfeld hinausging. Wir waren an denselben Gestaden gestrandet. Kurioserweise wird Gesundheit unter anderem dadurch definiert, dass man die gleiche Krankheit hat wie alle Nachbarn - so gesehen waren er und ich kerngesund.
Ob ich dabei war, mich in meinen Sohn zu verlieben? Bestimmt hört es sich so an, aber es war nicht so. Allerdings wurde mir langsam klar, dass ich ihn wirklich sehr lieb hatte.
~42~
Als Jeremy umkippte, stieß er sich den Kopf an einem Pflanzkübel mit einem Gummibaum darin. Er blutete nicht, und er war auch nur ungefähr dreißig Sekunden bewusstlos, aber ich hielt es trotzdem für besser, ihn in die Notaufnahme zu bringen.
Das Theater, das wir im Büro um ihn machten, war ihm unangenehm, und im Auto sagte er kein Wort. Er war sauer auf mich, weil ich mit Kayla gesprochen hatte. Ich sagte: »Ich versteh dich ja. Aber auch wenn es so aussieht, als würde ich dir hinterher schnüffeln, habe ich doch nur das getan, was jede Mutter tun würde.«
»Was hat sie dir gesagt?«
»So gut wie gar nichts. Gibt es denn etwas, das ich wissen sollte?«
Wir fuhren auf dem Marine Drive ostwärts. Der Wagen war dreckig, und da sich das Licht im Schmutz auf der Windschutzscheibe brach, war nur schwer zu erkennen, was vor uns lag.
»Fahr mal rechts ran.«
Das tat ich. Ich stellte den Motor aus und fragte
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