Eleanor Rigby
Spaß, dabei zuzusehen, wie die Neugier sie quälte.
Ich sagte: »Ich muss jetzt diese Akten hier fertig machen, Donna. Lass uns später reden.«
»Was machst du in der Mittagspause?«
»Da hab ich leider schon was vor.« Das stimmte nicht, aber es verschlimmerte ihre Qualen. Ziemlich gut gelaunt öffnete ich meine Akten und machte mich an die Arbeit. Was sie enthielten, war mir völlig schnurz. Jeremy war wie ein frischer Anstrich, der mich für die Welt sichtbar gemacht hatte.
~40~
Nach der Arbeit saßen Jeremy und ich zu Hause und erzählten uns Geschichten von unserem Tag, während wir Nudeln mit Artischockenherzen aßen. Die hatte er aus irgendwelchen Resten gezaubert, und ich glaube, es war eine der glücklichsten Mahlzeiten meines Lebens. Selbst die profansten Kleinigkeiten - eine neue Tonerpatrone für den Kopierer, eine defekte Verkehrsampel am Marine Drive — schienen magisch und bedeutungsschwanger. Jeremy erzählte mir von einem Mann, der nur in den Laden kam, um ein Nickerchen zu machen. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen.
Danach schauten wir uns im Fernsehen eine alte Law & Order-Folge an. Ständig quatschten wir dazwischen, schimpften und schwärmten, wie man das nun mal macht, wenn man nach einer Serie süchtig ist. Mutter kam kurz nach neun vorbei, um ein paar alte Sachen von William abzuliefern, von denen sie glaubte, dass sie Jeremy gefallen könnten. Sie brauchte für einen Besuch stets einen Vorwand. Bevor ich's mich versah, lag ich im Bett und schlief ein. Wenn es nach mir ginge, konnte sich dieser Tag noch tausend Jahre lang immer wiederholen.
Die Woche schmolz dahin. Es geschah nichts von Belang, und doch war es herrlich. Draußen war es warm, und wir aßen auf den Veranden von Restaurants.
In meiner neu entdeckten mütterlichen Sorge rief ich vom Büro aus beim Sozialdienst an, um ein paar Lücken in Jeremys Vergangenheit zu klären. Ich ließ es einfach drauf ankommen, denn rechtlich gesehen mussten sie mir gar nichts sagen, und ich hatte gewiss nicht vor, Jeremy etwas davon zu erzählen. Ohne dieses Telefonat, glaubte ich, würde ich mir wie eine Mutter vorkommen, die ihre Kinder mit Reißzwecken spielen lässt, während sie weggeht und sich den nächsten Schuss besorgt. Ich verabredete mich mit Kayla für Donnerstag zum Mittagessen. Sie kannte Jeremy schon seit geraumer Zeit und wollte mir alles erzählen, was sie über ihn wusste.
Wir trafen uns bei einem Japaner zwei Blocks vom Büro entfernt. Kayla war eine patente Rothaarige mit einem Gesicht, das mit achtzig immer noch genauso aussieht wie mit zehn oder mit vierzig. Wir nahmen Platz und wischten uns die Hände mit heißen Oshibori-Tüchern ab.
»Soviel ich weiß, war es schwer, Jeremy bei irgendwelchen Familien unterzubringen. Er geriet allzu häufig in Schwierigkeiten ...«
»Was für Schwierigkeiten?«
»Offenbar verschwanden immer wieder Gegenstände ...« »Was für Gegenstände?«
»Kein Geld, sondern Kleinigkeiten. Jedenfalls war es den Pflegeeltern nicht geheuer.«
Das verbuchte ich unter den Geschichten mit dem geklauten Mozzarella und den Familienfotos. Ich fragte Kayla, ob Jeremy die Sachen zu Geld machte, um ein Drogenproblem zu finanzieren, aber sie glaubte nicht, dass Jeremy auf Drogen stand.
»Das war nie ein Thema.«
Unser Gespräch verlief ein bisschen holprig, denn Kayla hatte mir nicht besonders viel zu erzählen, und es entstanden immer wieder lange Pausen.
»Was ist mit seiner MS - wieso konnten Sie nicht mehr für ihn tun?«
»Die Krankheit wurde diagnostiziert, als er siebzehn war, und nach dem achtzehnten Geburtstag haben wir keine Handhabe mehr. Er ist erwachsen.«
»War seinen Familien das denn gleichgültig?«
»Ehrlich gesagt, ja. So ziemlich.«
»Und die Krankheit kann sich so schnell verschlimmern?« »Ja.«
Am liebsten hätte ich das ganze erbärmliche Adoptionssystem einschließlich Kayla genommen, zusammengeknüllt und dann zu Brei getreten. Ich war stinksauer, aber es war zwecklos, mir - das anmerken zu lassen. Kayla überschritt mir zuliebe ohnehin schon ihre Befugnisse. Das Essen war in keiner Hinsicht zufriedenstellend, und das wussten wir beide.
Kayla versuchte mit ihrem Handy zu telefonieren, aber die Batterie war leer, daher kam sie mit ins Büro, um dort das Telefon zu benutzen. Ich war gerade in der Küche, um Kaffee zu holen, als ich hörte, wie Jeremy hereinkam. Er sprach mit Donna, die am Faxgerät stand. Ich steckte den Kopf zur Tür hinaus. »Jeremy?«
»Hi,
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