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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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pendeln.

~43~
    Auf dem Röntgenbild war kein Schaden zu sehen, und wir waren beide erleichtert, dass wir einfach nach Hause fahren und die Küchenschränke nach etwas Essbarem durchstöbern konnten. Zu allem Überfluss stellten wir auch noch fest, dass eine Law & Order-Folge lief, die wir beide noch nicht gesehen hatten. Als wir gerade völlig gebannt vorm Fernseher saßen, klopfte es an die Tür. Wir schnitten einander eine Grimasse, die besagte: Sollen wir aufmachen? Ich rang mich dann doch dazu durch, und als ich öffnete, stand Liam vor mir.
    »Hi, Liz. Darf ich reinkommen?«
    »Äh, klar.«
    Wir gingen ins Wohnzimmer. »Jeremy, das ist mein Chef, der Zw... mein Chef Liam.«
    Liam setzte sich. »Was guckt ihr da?« »Law & Order.« »Hab ich noch nie gesehen.« »Ist ziemlich neu.«
    Das Besondere an Lieblingsserien ist, dass sie alles, was in der Welt draußen vorgeht - solange es sich nicht um einen Atomkrieg handelt -, vergessen machen können. Liam wusste, dass Jeremy und ich emotional abgemeldet waren, bis die Folge vorbei war. Als es so weit war, sagte er: »Liz, ich habe gehört, Jeremy ist heute zusammengeklappt.«
    Jeremy unterbrach ihn: »Mir geht's gut.«
    »Wir sind zur Notaufnahme gefahren, und auf den Röntgenbildern war nichts zu sehen.«
    »Das ist schön.«
    Spitzbübisch fragte Jeremy Liam: »Und, habt ihr zwei was miteinander?«
    »Nein. Ich wollte bloß fragen, ob mit dir alles in Ordnung ist.« »Ich hab doch gesagt, mir geht es prima.« »Es geht ihm prima, Liam.« »Dann ist es ja gut.«
    Liam machte keine Anstalten zu gehen, und da ich noch nie Besuch gehabt hatte, hatte ich keine Ahnung, wie man jemanden hinauskomplimentiert. »Möchtest du einen Kaffee?«
    »Ja, bitte. Das wäre schön.«
    Ich ging in die Küche, um einen zu machen. Eine Woge drückender Stille brachte Liam in Zugzwang. »Ich komme gerade von der Chorprobe.«
    »Hmm. Echt?«
    Jeremy sagte: »Mom kann ziemlich gut singen.« Liam sah mich an: »Im Ernst?«
    Mein Magen vollführte einen Salto, als hätte jemand zum Karaoke aufgerufen. »Ich kann nicht singen, Jeremy.«
    »Doch, kannst du. Ich kann's schließlich auch, und genetisch gesehen braucht es zwei gute Sänger, um ein Kind hervorzubringen, das ebenfalls singen kann.« Er wandte sich Liam zu. »Das stimmt wirklich. Mom ist einfach zu bescheiden.«
    Singen macht mir Angst. Ich tue es ausschließlich im Auto, weil mich sonst jemand hören könnte. Sonst bekäme womöglich jemand mit, wie ich mich fühle. Ich würde es bestimmt irgendwie vermasseln. Mein ganzes Leben lang habe ich meine Fähigkeit geheim gehalten. Das ging so weit, dass ich all die Jahre bei Geburtstagsständchen den Mund gehalten habe.
    Liam sagte: »Liz - sing etwas für uns.«
    »Die Nachbarn könnten es hören.«
    »Mom, weißt du überhaupt, wer deine Nachbarn sind?«
    Das tat ich nicht - und daran hat sich bis heute nichts geändert. In so einer Art Haus wohne ich nicht. »Das spielt keine Rolle. Ich will trotzdem nicht, dass sie mich hören.«
    Liam sagte: »Sing die Soloversion des Blumenduetts.«
    »Der Song hängt mir total zum Hals raus, Liam. British Airways haben ihn mir verleidet.«
    »Mom, wenn du etwas singst, singe ich auch was. Aber du musst zuerst.«
    Wie konnte ich der Verlockung, meinen eigenen Sohn singen zu hören, widerstehen? »O Gott ... na gut.« Mir wurde klar, dass ich seit Ewigkeiten nicht gesungen hatte. Eine Singstimme baut sich ebenso schnell ab wie der Trizeps eines Bodybuilders ohne Training. Ich ging zur Spüle, ließ mir rasch ein Glas Wasser einlaufen und rief mir besagtes Lied in Erinnerung, »Viens, Malika« aus Lakme von Delibes. Es ist ein schönes Lied, ein Klassiker, der unter Bildungsbürgern den gleichen Stand hat wie »We've Only Just Begun« von den Carpenters beim Kommerzradio.
    Dann kehrte ich wieder ins Zimmer zurück. »Denkt dran, ihr wolltet es so.« Die nächste Minute verbrachte ich damit, den schönen und traurigen Teil des Liedes zu schmettern, der den größten Wiedererkennungswert hat. Ich staunte über mich selbst. Die beiden Männer klatschten. Ich setzte mich hin und winkte Jeremy, er solle aufstehen.
    Er brauchte kein Glas Wasser. Er machte sich bereit, und dann drangen furchterregende Töne aus seinen Lungen, die beinahe, aber nicht wirklich wie Musik klangen. Kreissägen? Bienen? Ich hielt es für eine Art Anfall und war schon halb aus meinem Sessel, bevor er mir bedeutete, ich solle sitzen bleiben. Er machte noch ungefähr eine halbe

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