Eleanor Rigby
Minute so weiter.
Eine Pause entstand. Ich fragte: »Jeremy, was war das?«
»Das war dein Lied rückwärts gesungen.«
Ich sagte: »Du machst Witze.«
»Nein, keineswegs. Willst du noch eins?« »Wo hast du denn das gelernt?«
»Ich hätte nie erfahren, dass ich es kann, wenn einer meiner Pflegebrüder und ich nicht auf der Suche nach satanischen Botschaften Platten rückwärts abgespielt hätten, als ich elf war. Die Erwachsenen fanden das sehr gottesfürchtig von uns.«
»Kannst du auch rückwärts singen, Liz?«, fragte Liam.
»Nein.«
Liam fragte mich nach einem Kassettenrecorder. Ich besaß noch einen aus den achtziger Jahren und ging los, um ihn aus dem Küchenschrank zu holen. Ich hatte ihn gemocht, weil sich die Kassette so leicht an- und ausstellen ließ. Früher, als ich beim Singen noch ein bisschen mutiger war, hatte ich ihn für Stimmübungen benutzt.
Ich ging wieder hinein. »Wenn ich ein bisschen an diesen beiden Schaltern herumbastele, läuft er rückwärts.« Ich machte das Gerät betriebsbereit.
»Was soll ich denn singen?«, fragte Jeremy.
Liam, durch und durch der Kommerzradiotyp, sagte: »Versuchen Sie's hiermit.« Er trällerte »The Wreck of the Edmund Fitzgerald« und gestikulierte dabei übertrieben theatralisch herum. Es war peinlich.
Jeremy sagte: »Ein Kinderspiel.«
Ich stellte den Recorder an, und Jeremy hielt ihn am Mikro an den Mund und machte eine Minute lang diese befremdlichen Luft-Einsaug-Geräusche. Dann drückte er auf Stopp, und ich spulte zurück. Es war der Song, nicht gerade perfekt gesungen, aber bestimmt besser, als es die meisten Menschen können.
»Was sagt man dazu?«
Liam fragte: »Das ist doch bestimmt sehr selten, dass jemand rückwärts singen kann.«
»Es ist ziemlich außergewöhnlich. Es gibt auch einen Namen dafür: Melodioanagrammatizismus. Der Grund dafür ist irgendeine Fehlschaltung im Gehirn, wie beim Tourette-Syndrom. Ich schaffe es immer nur ungefähr dreißig Sekunden am Stück.«
»Du wusstest nicht, dass dein Sohn rückwärts singen kann?«
»Lange Geschichte.«
»Warum kommt ihr beide nicht mal zu meinem Chor? Schaden kann's nicht, und von deinem Rückwärtsgesang werden alle begeistert sein.«
»Ich weiß nicht ...« Ich war noch nie zu so etwas eingeladen worden; ich hatte keine Ahnung, wie ich mit einer solchen Situation umgehen sollte.
Liams Ansinnen versetzte mich ungefähr fünf Jahre zurück. Ich war in die Innenstadt gefahren, um Kuchen zu kaufen. Ich hatte meine High Heels und mein gutes Kleid an und fühlte mich großstädtisch und energiegeladen. Eine sanfte Hafenbrise im Gesicht, trat ich erst mit dem einen und dann mit dem anderen Fuß zwanzig Zentimeter tief in feuchten Zement. Als ich nach unten schaute, waren meine Füße weg. Ich versuchte sie anzuheben, aber sie steckten fest. Die Leute, die vorbeikamen, glaubten, es handele sich um einen Scherz, und gingen weiter. Schließlich zog ich die Füße aus den Schuhen, die im Zement zurückblieben (da sind sie vermutlich immer noch), und ging erhobenen Hauptes zu meinem Wagen, der in der vierten Etage eines Parkhauses stand. Dann fuhr ich in meiner schmutzverkrusteten Strumpfhose nach Hause, als sei nichts passiert.
Jeremy antwortete für mich auf Liams Einladung. »Sie kommt sehr gern.«
»Na, prima. Wir treffen uns am Deep Cove. Näheres sag ich dir morgen, Liz.«
Ich wollte den Tag so schnell wie möglich hinter mich bringen, um mich in einem schönen narkosegleichen, traumlosen Schlaf zu verlieren - so, hoffte ich, würde der Tod sein.
Liam stand auf und fasste sich dabei ans Kreuz. Jeremy fragte: »Rückenschmerzen?« »Die Freuden des Älterwerdens.«
»Fast jedes Rückenproblem lässt sich mit der richtigen Matratze lösen. Was für ein Schlafsystem haben Sie zu Hause?« »Schlafsystem?«
Verdammt noch mal. Innerhalb von zehn Minuten hatte er eine weitere Matratze verkauft. Schon im Bademantel, schaute ich ins Wohnzimmer, sagte gute Nacht und ging auf eine Reise ins Traumland.
~44~
Am nächsten Tag war im Büro Legerer Freitag , ein abscheulicher Brauch, bei dem sich die Männer wie Teenager kleiden dürfen und die Frauen wie Schlampen. Obwohl sie mich jahrelang gepiesackt hatten, begriffen meine Mitarbeiter immer noch nicht, dass ich in diesem Punkt nie nachgeben würde. Donna war am schlimmsten, aber sie tauchte an jenem Morgen nicht auf, und ich war froh, dass mir die Kein-Teamgeist-Predigt erspart blieb.
Gegen halb elf klingelte mein Telefon.
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