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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Chorprobe mitgeteilt, und ich hoffte, er habe sie vergessen. Doch dafür ist Liam nicht der Typ, und so ließ ich die Dinge einfach auf mich zukommen.
    Meine Fehlerquote wuchs, und das leise Ping-ping meines Computers begann mich zu nerven. Ich ging in die Küche, um mir eine Heiße Tasse zu machen. Dort erkannte ich in der beruhigenden Hintergrundmusik, die aus dem Lautsprecher über dem Kühlschrank dudelte, die Royal-Philharmonic-Version von »The Wreck of the Edmund Fitzgerald«. Der vorangegangene Abend fiel mir wieder ein. Bei dem Gedanken daran, wie absurd das alles gewesen war, musste ich lächeln. Ich summte ein Stück des Songs mit, als ...
    ... als die Melodie sich in meinem Kopf hin und her zu wiegen begann, Note für Note, in einer flüssigen Bewegung, wie ein Bogen, der über Violinsaiten fährt. Nein!
    Doch es passierte tatsächlich. In meinem Hirn lief die Musik vor und zurück. Es versetzte mir einen Stich in die Magengrube, als mir klar wurde, dass ich ein Kind hatte, mit dem ich ein Geheimnis teilte, und dass kein Band auf Erden fester sein kann.
    Ich bekam den Song nicht mehr aus dem Kopf. Er war wie der Duft von gebratenem Speck am Sonntagmorgen. Ich ging nach draußen und marschierte zu dem Zeitungsladen an der Ecke. Nichts konnte diese verflixte Melodie aus meinem Hirn vertreiben.
    The legend lives on ...
    From the Chippewa on down ...
    ... nwod no aweppihC eht morF
    ... no sevil dnegel ehT
    Ich stellte mich ins Treppenhaus, das aus Beton und hässlich war, aber eine grandiose Akustik wie in der Oper hatte. Und dann begann ich den Song vorwärts und rückwärts zu singen. Mir war kalt unter den Achseln. Ich war total durcheinander. Ich lief hinunter in die Tiefgarage und setzte mich in meinen Wagen. Meine Brust wogte, mein Kopf fühlte sich furchtbar aufgebläht an. Ich schaltete das Radio ein und suchte einen Song, der »The Wreck of the Edmund Fitzgerald« ersetzen konnte. »Downtown« von Petula Clark. Ich stellte das Radio wieder aus, und dann begann auch dieses Stück in meinem Kopf rückwärts abzulaufen.
    Auf dem Heimweg überfuhr ich diverse rote Ampeln. Ich parkte den Wagen quer auf der Straße und rannte nach oben. Als ich die Wohnung betrat, schliff Jeremy gerade mit um einen Schwamm gewickeltem Sandpapier die Küchenwände ab. Neben ihm standen zwei Grills, ein Farbfernseher und eine Mikrowelle, alle noch in der Verpackung.
    »Mom! Wieso bist du schon so früh zu Hause? Ich wollte dich mit der ersten Schicht Rot überraschen.«
    Ich sagte nichts. Ich ging auf ihn zu. Er saß auf einem Stuhl neben einem Heizkörper. Mit ungeahnter Kraft zerrte ich ihn hoch und drückte ihn an meine Brust.
    »Mom?«
    »Sei still, Jeremy.« »Mom?«
    »Du brauchst keine Wände mehr zu streichen, Jeremy.«
    Er versuchte etwas zu erwidern, aber ich setzte mich auf einen Esszimmerstuhl und zog ihn auf meinen Schoß. Ich glaube, wir wussten beide, nicht, was wir sagen sollten. Schließlich begann ich »The Wreck of the Edmund Fitzgerald« rückwärts zu singen. Ich sagte: »Das hast du von mir.«
    »Was?«
    »Die Fähigkeit, rückwärts zu singen. Ich wusste nichts davon, aber heute überkam es mich einfach.« »War das gut oder schlecht?«
    Ich hatte noch nie jemanden im Arm gehalten. Ein Mensch hat ein gewisses Gewicht. Er ist warm. Man kann spüren, wie Herz und Lungen in ihm pumpen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte - eine Marionette?
    Jeremy begann den Song vorwärts zu singen, aber ich sagte: »Das brauchst du nicht.«
    Ich schaute hinüber zur Küchenwand. Während ich die Farbe betrachtete, wurde mir klar, dass es zwischen ihr und der Küchenwand einen Abstand geben musste - selbst wenn er nur einen Nanometer groß war. Ich versuchte mir vorzustellen, ich wäre ein mikroskopisch kleines Raumschiff, das sich in die Farbe bohrte und nach diesem geheimen, verzauberten Raum suchte. Vielleicht existiert er nur in der Vorstellung, aber vielleicht ist er auch real. Doch ich glaube, wenn man nach ihm sucht, verschwindet er. Man kann nur spüren, wie er einen umgibt, wie er einen zudeckt, wie er einen heil macht.

~45 ~
    Jetzt ist es an der Zeit, einmal ganz tief Luft zu holen und sich in Erinnerung zu rufen, dass all das schon vor sieben Jahren passiert ist. Oft kommt es mir vor, als wäre es nur eine Woche her. Die Zeit ist launisch und grausam.
    Die ganze Geschichte begann an dem Abend, als ich auf dem Parkplatz einer Videothek stand, in den Himmel hinaufblickte, meinen allerersten Kometen sah —

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