Eleanor Rigby
deutschen Gefängniszelle, in Mörfelden, glaube ich, irgendwo in der Nähe von Frankfurt. Auf dem Weg hierher hat jemand die Tür des Transporters geöffnet, und den Namen habe ich draußen auf dem Straßenschild gelesen. Die letzten drei Stunden habe ich in Einzelhaft verbracht, was eine Art Witz der Vorsehung sein muss, denn schließlich war ich den Großteil meines Lebens in Einzelhaft. Stellt sich die Frage: Wie ist es dazu gekommen?
Im Gefängnis ist es gar nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe - keine tätowierten Insassen, die sich die Pulsadern aufschneiden und die Wärter mit Blut bespritzen, keine mit Schichten von alter Kotze, Scheiße, Pornoheftchen und Rasierklingen verdreckte Zelle. In Wirklichkeit ist sie weiß und blitzsauber und ungefähr so groß wie mein Schlafzimmer zu Hause. Man weiß nie so recht, welche Tageszeit gerade ist, und es ist wunderbar ruhig. Ich kann mir weit schlimmere Strafen vorstellen als die Haft in einer deutschen Isolierzelle. Selbst das Essen ist nicht allzu schlecht - in den ersten drei Stunden hat man mir bereits Kohl, Wurst und Blattgemüse serviert —, und die Belegschaft hier ist ziemlich nett zu mir.
Ich werde nun Punkt für Punkt schildern, wie ich in diese Gefängniszelle geraten bin. Nachdem ich meinen Flug nach Wien gebucht hatte, kam diese Ruhe über mein Leben, die sich auf einen herabsenkt, wenn man einen wichtigen Entschluss gefasst hat, die Ruhe, die das Gegenteil von Reue ist. Der Zwerg und all die Zauderer im Büro von Landover Communication Systems reagierten mit spontaner Heiterkeit, als ich ihnen sagte, ich würde nach Osterreich reisen. Ich bin zwar noch nicht lange weg, aber mein Arbeitsplatz ist bestimmt bereits von den anderen geschluckt worden, ohne eine Spur meiner Existenz zu hinterlassen. Wenn meine Kollegen von den merkwürdigen Umständen dieser Reise und diesem Klaus Kertesz gewusst hätten, wäre der Klatschfaktor höher gewesen, aber mit meinem Geheimnis verhielt es sich wie mit meinem Meteoriten: Es mit anderen zu teilen, hätte seinen Wert gemindert.
Auch meiner Familie verriet ich den wahren Grund meiner Reise nicht. Warum sollte ich? Dass ich einmal etwas Ungewöhnliches unternahm, würden sie für etwa zwei Minuten interessant finden, und dann wäre es nur ein weiteres Rauschen in ihrem Leben. Mein Geheimnis gehört jedoch nicht zu diesem Rauschen — es gehört mir allein.
Hiermit gestehe ich, dass ich, sobald ich mich von dem Schock des Ticketkaufs erholt hatte, einmal quer durch die Stadt fuhr, um mich für einen Haufen Kohle in einem der teuersten Schönheitssalons der Stadt generalüberholen zu lassen. Alles für die Katz. Schon als sie mich anrücken sahen, eilten sie bestimmt ins Hinterzimmer, um darum zu knobeln, wer mich bedienen sollte. Man muss ihnen zugutehalten, dass sie sich Mühe gaben, aber ich bin nun mal schönheitsresistent. Als ich vor vielen Jahren mit Jeremy zusammen versucht habe, meine Garderobe aufzupeppen, habe ich mich nicht besonders angestrengt - es hat einfach keinen Sinn. Ich bin eine nette, saubere, gut beschuhte, gut angezogene graue Maus. Ich eigne mich noch nicht mal für eine Massenszene im Film. Der Regisseur würde »Stopp!« brüllen: »Holt die Frau da raus! Die ist ja selbst für eine Massenszene zu unscheinbar!«
Ich möchte hier auch auf den Unterschied zwischen dem Europaflug des Jahres 1976 mit einer Charter-747 und dem von 2004 in der ersten Klasse der Lufthansa-Maschine Schleswig-Holstein hinweisen. Ausgerechnet ich stieg nun diese kleine Treppe zum oberen Passagierdeck hoch - unendliche Beinfreiheit, leckeres Essen und eine riesige Auswahl an Filmen, Fernsehsendungen und Dokumentationen. Jetzt begreife ich, wieso das Establishment die Unterschicht so weit wie möglich auf Abstand halten will. Die Proletarier würden Krawall schlagen, wenn sie wüssten, wie herrlich das Leben auf dem oberen Passagierdeck ist. Das Einzige, woran ich etwas auszusetzen hatte, war die kleine Tafel über uns, auf der genau angezeigt wurde, wo die Maschine sich gerade befand, welche Temperatur draußen herrschte und wann wir voraussichtlich ankommen würden. Sie ließ mein Leben zu einer Miniatur schrumpfen. Es war, als würde ich die Sekunden dahinticken sehen, bis mir, um es mit Jeremy und Pink Floyd zu sagen, wieder etwas mehr die Puste ausging und ich einen Tag näher am Tod war. Oder wie Jeremy meinte: »Tja, wenn du rückwärts singst, näherst du dich wenigstens wieder deiner
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