Eleanor Rigby
Viehherden draußen zu vergessen. Ich duschte, zog eine frische Bluse an und versuchte nicht daran zu denken, dass ich seit fast vierundzwanzig Stunden auf den Beinen war. Ich setzte mich auf ein hübsches Plüschsofa und kaute an einem Schinkensandwich vom Büffet herum. In dem Moment bemerkte ich all die Polizisten und Feuerwehrwagen, die auf die Rollbahn strömten. Selbst jemand wie ich, der so gut wie nie auf einem Flughafen ist, wusste, dass etwas nicht stimmte. Wie jedem anderen auch standen mir sofort Bilder von terroristischen Anschlägen vor Augen.
Moment mal ...
Ein hartgekochtes Ei, ein Schokoladenkeks und ein Plastikbecher mit lauwarmem Kaffee sind in meiner Zelle eingetroffen. Kaffeezeit?
~58~
Wie ich bereits erwähnt habe, wimmelte es auf der Rollbahn von Polizei- und Feuerwehrwagen, während in den Gängen draußen vor der Lounge eine Alarmanlage schrillte. Wir standen auf, starrten einander an, als würden wir uns kennen, und wandten unsere Aufmerksamkeit dann dem attraktiven jungen Pärchen an der Tür zum Gang zu. Offenbar kannten sie sich mit derartigen Situationen nicht aus und telefonierten, wobei sie das freie Ohr vor dem allgemeinen Tumult abschirmten.
Irgendwelche Instruktionen dröhnten auf Deutsch aus Lautsprechern, die in die seidenen Wände eingelassen waren. Ein älteres Ehepaar stürzte auf die Tür zu, aber die beiden Mitarbeiter des Bodenpersonals stellten sich ihnen in den Weg und belehrten sie, es sei sicherer, drinnen zu bleiben.
»Lassen Sie uns raus.« Die verhinderten Ausbrecher waren Amerikaner, offenbar Rentner.
»Nein. Unseren Anweisungen zufolge sind Sie hier in der Lounge am ehesten in Sicherheit.«
Diese Worte bohrten sich gewiss wie ein Nagel in die Gehirne der Anwesenden. In Sicherheit?
»Was geht da draußen vor?«
»Wir sind nicht befugt, Ihnen das zu sagen.«
An der Tür bildete sich ein Menschenauflauf. Der erste Mann, der Amerikaner, drängelte sich an der Stewardess vorbei und öffnete die Tür gerade so weit, dass wir durch den schmalen Spalt hindurch sehen konnten, wie das Gebäude geräumt wurde: schrille Schreie und Massen von Reisenden, die vorwärtspreschten, als sei ein Terminator hinter ihnen her. Der Amerikaner sagte gerade noch: »Verdamm...«, als schon ein schwarzer Lederhandschuh auf seine Halsschlagader niederzuckte, während ein weiteres Paar Handschuhe ihn in den Vorraum der Lounge zurückschubste. Ich erblickte mehrere schwarze Gewehrläufe.
Vor unserem Fenster wurden eine Air Lingus 767 und eine Lan-Chile-Maschine mit Hilfe von Gangways und aufblasbaren gelben Rutschen evakuiert. Es mag seltsam klingen, aber ich fand, die Rutschen sahen aus, als würde das Spaß machen. Mercedes-Transporter, inzwischen knapp hundert, holten Leute aus dem Umkreis der Lounge weg. Alles schien sich darum zu drehen, die Menschen von dort wegzubringen, wo wir uns aufhielten. Die Frau des Amerikaners wurde hysterisch und versuchte, die dreifach verglasten Fenster mit einem Stuhl aus hellem Ahorn einzuschlagen. Ich ging zu ihr, um sie daran zu hindern, und entdeckte dabei Scharfschützen auf dem Dach des Terminals.
In dem Moment stürmte eine Mannschaft von zwanzig Polizisten im Kampfanzug die Lounge, bewaffnet mit Kevlar-Schilden und flankiert von vier Deutschen Schäferhunden. Sie kamen direkt auf mich zu und versetzten mir einen Karateschlag auf die Halsschlagader. Ich stürzte zu Boden, woraufhin sie meine Hände mit Plastikstreifen hinter meinem Rücken fesselten. An Händen und Füßen gefesselt wurde ich in den geräumten Terminal hinausgetragen. Ich verstand kein Wort von dem, was die Männer sagten, aber sie -trugen deutsche Militäruniformen und wirkten nicht im Geringsten wie Terroristen. Sie waren gut organisiert und hervorragend ausgebildet.
Die gesamte Szene vom ersten Biss in mein Sandwich bis zur vollständigen Evakuierung des Flughafens und meiner Gefangennahme dauerte vielleicht fünf Minuten. Abgesehen von dem melodramatischen Karatehieb auf meine Halsschlagader und dieser einen Minute, in der ich gefesselt wurde, wussten sich die deutschen Polizisten oder Soldaten oder was auch immer sie waren durchaus zu benehmen. Niemand sagte ein Wort, als sie mich aus Terminal 2 abführten. Überall stand zurückgelassenes Reisegepäck herum — Trolleys, Babytragetaschen, Einkaufstüten von Designerläden, Lunchpakete, Terminkalender. Ich erinnere mich an so ein blaues Wägelchen, auf dem Rentner durch die Gegend fahren. Es war hastig in eine Nische
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