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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Alarmglocke in mir. Liz Dunn hatte noch nie ein Rendezvous. Ich wusste so gut wie nichts über Herrn Bayer, und ich vermutete, er wollte bloß ein Abendessen auf Spesen herausschinden.
    Dann fuhr ich mit dem Aufzug in die Lobby hinunter - in einem messingbeschlagenen Wunderding a la Chitty Chitty Bang Bang, das alles konnte außer Wasser kochen und Tee machen. Während der Fahrt dachte ich über das bevorstehende Gespräch nach, und ich fühlte mich irgendwie wehrlos. Herr Bayer hatte bestimmt Nachforschungen über mich angestellt. Wusste er von Jeremy? Er machte den Eindruck, als wüsste er alles. Ich hingegen wusste praktisch gar nichts. Aber jeder von uns besaß etwas, das der andere brauchte. Zumindest hatte ich den Eindruck.
    Auch die Lobby war einfach traumhaft. Ich musste daran denken, wie ich vor sieben Jahren Tag für Tag mit Jeremy vorm Fernseher saß. Immer, wenn jemand eine Reise nach Frankreich oder zu irgendeinem anderen Ziel in Europa gewonnen hatte, wurde die Ausstattung des Hotels als »opulent« bezeichnet. Dieser Laden war opulent. Überall Spitzendeckchen, Birnbaumholz mit Schnitzereien, Spiegel mit Facettenschliff, dunkle Ölgemälde, dicke Stoffe und Schlagsahneberge mit einer Kirsche obendrauf. Das hier war das Gegenteil meiner deutschen Gefängniszelle. Ich fühlte mich fremd, und als mein Blick in einen Spiegel fiel, dachte ich: Oh, eine Österreicherin — aber das lag natürlich nur daran, dass ich mit meinem neuen Haarschnitt und meinem neuen, nicht radioaktiven Outfit noch nicht vertraut war.
    Ich war ganz ich selbst und auch wieder nicht. Das ist vermutlich der Grund, weshalb wir so gern reisen; deshalb nehmen Sekten Flughäfen ins Visier, deshalb werden auf Bahnhöfen Flaggen aller Nationen verkauft. Reisen löst einen auf. Es zwingt einen, sich wieder neu zusammenzusetzen und sich daran zu erinnern, woher man kommt.
    »Miss Dunn?«
    Ich drehte mich um und erblickte einen Mann in meinem Alter, durchschnittlich groß, bärtig und etwas altmodisch gekleidet. »Herr Bayer ...«
    Wir gaben uns die Hand. »Bitte, zum Restaurant geht es hier lang. Wollen wir los ?«
    Er nahm meinen Ellbogen, was noch nie jemand getan hatte. Die Geste war antiquiert, aber beruhigend. Er erinnerte mich an einen Taxifahrer, dem ich mal in Seattle begegnet war, ein bärtiger Griesgram, der behauptete, er sei früher mal Leiter der Theoretischen Astrophysik an der Universität von Kiew gewesen.
    Der Oberkellner würdigte mich keines Blickes, aber da ich von einem Mann begleitet wurde, gingen wir schnurstracks an unseren Tisch. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich dreimal die Tageszeitung von Anfang bis Ende durchlesen müssen, bevor man mich an den hintersten Tisch geschleust hätte.
    Wir setzten uns.
    »Freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen, Miss Dunn.«
    »Gleichfalls.« Wir breiteten schwere weiße Servietten auf unserem Schoß aus. »Es ist schön, einmal die Stadt zu sehen, in der das Unterbewusstsein erfunden wurde.«
    Er bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick. »Miss Dunn, das Unterbewusstsein wurde nicht erfunden. Es wurde entdeckt.«
    »Oh. Verzeihung. Wie unaufmerksam von mir. Ich habe immer geglaubt, neben unserer normalen Persönlichkeit hätten wir noch so ein großes Rattennest in uns, das sich Unterbewusstsein nennt.«
    »Wieso sehen Sie es als Rattennest?«
    »Nun, wenn unser Unterbewusstsein irgendetwas Anziehendes hätte, müssten wir es nicht tief in uns verbergen. Es wäre einfach ebenso ein Bestandteil unseres Gesichts wie die Nase.« Ich merkte, dass Herr Bayer das für einen Witz hielt, aber so war es nicht gemeint. »Man spricht über unser Unterbewusstsein, als ob es der Südpol wäre und man jede Menge Technik und Entschlossenheit brauchte, um dorthin zu gelangen. Woher wissen wir denn, dass unsere Persönlichkeit nicht aus fünf oder sechs verborgenen Schichten besteht? Oder zweiundsechzig?«
    »Ich tippe auf vier.«
    »Wie würden Sie sie bezeichnen?«
    »Das wissen Sie doch, Miss Dunn - das öffentliche Ich, das private Ich und das geheime Ich.« »Das sind nur drei.«
    »Die vierte ist das dunkle Ich - das, das am Steuer sitzt, das im Besitz der Landkarte ist, das habgierig, vertrauensselig oder voller Hass ist. Es ist so mächtig, dass es einem die Sprache verschlägt.«
    Man reichte uns die Speisekarte, und ich erwachte aus einer Art Trance. »Wie sind wir so schnell hierher gekommen?«
    »Ich glaube, Sie haben am Steuer gesessen, Miss Dunn.« Er lächelte und

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