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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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sieht. Wann soll's denn losgehen?«
    »Morgen. Ich nehm den Zug.«
    »Du fliegst nicht?«
    »Nein.«
    »Frankfurt wird es dir danken. Ach, was ich dich fragen wollte: Darfst du deinen Meteoriten behalten?« »Natürlich nicht.«
    »Es gäbe einen interessanten Rechtsstreit, wenn du ihn nicht hergeben würdest.«
    »Sei realistisch, William. Sie würden mich einfach erschießen lassen.«
    Wir rührten beide in unserem starken Kaffee. Ich dachte über Dr. Vogels Prognose nach. Sie war nicht schlecht, aber auch nicht gut. Ich muss mich den Rest meines Lebens fragen, ob eine kleine Erschöpfung der Anfang von etwas Unheilvollem ist oder ob ein blauer Fleck eine verkappte Hiobsbotschaft beinhaltet.
    Ich hatte den Arzt gefragt: »Können Sie nicht einfach eine Blutuntersuchung machen?«
    »Miss Dunn, Sie können für den Rest Ihres Lebens monatlich Ihr Blut untersuchen lassen - am ehesten vermutlich den Leukozytenstatus -, aber was würden Sie mit den Ergebnissen anfangen?«
    »Sagen Sie's mir.«
    »Sie würden in einem ständigen Zustand der Hypochondrie leben, und ich glaube, dass das für Ihren Körper viel schlimmer wäre als die meisten Krankheiten.«
    »Ich soll die ganze Sache also vergessen?«
    »Kurz gesagt ja. Und nein.«
    Ich betrat den Fahrstuhl und verabschiedete mich von William. Das hier ist mein Tagebuch bis heute. Ich habe gerade eine große deutsche Schlaftablette geschluckt. Morgen: Wien.

~62~
    Sobald Jeremys Fahrstuhl sich einmal in Bewegung gesetzt hatte, ging es mit ihm nur noch abwärts. Er stürzte einfach immer weiter hinunter, bis zum Mittelpunkt der Erde und dann noch tiefer. Nach der ersten Grippe verlor er viel von seiner Beweglichkeit. Die nächsten beiden kalten Monate tilgten einen Großteil des Lebens aus seinem Gesicht.
    Manchmal, wenn ich ins Zimmer trat, flüsterte er irgendetwas vor sich hin. Dann ging ich näher heran, um zu lauschen. Es waren immer Substantive, und sie bildeten beängstigende Ketten:... schwarze Baumwolle ... Zitronenhaine ... Dunkelheit... Essig ... Knochenbrüche ... milchweiße Pferde ... Nacktheit. Als er aufhörte, sich Notizen zu machen, schrieb ich die Wörter manchmal auf. Ich fragte ihn danach, aber wenn er wieder mehr bei sich war, hatte er keine Ahnung, was sie bedeuteten.
    Ich gebe mir gerade große Mühe, nicht allzu sehr den Eindruck zu erwecken, ich hätte meinen Sohn wirklich gut gekannt. Jeremy war verkorkst, kompliziert und verwirrt, und wenn einem nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung steht, kann man nicht allzu viel über einen Menschen herausfinden.
    Man kann sich und anderen vieles vormachen, aber zwanzig Jahre gemeinsame Vergangenheit gehören nicht dazu.
    Ich habe so meine Theorie, warum das Leben so kurz ist. Ich glaube, um alles in uns aufzunehmen, was wir Menschen auf diesem Planeten lernen können, müssten wir 750 Jahre lang leben. Fragt mich nicht, wie ich auf diese Zahl gekommen bin, ich habe nur das Gefühl, das könnte so ungefähr hinkommen. Da die meisten von uns nur siebzig werden, fehlt uns der Erfahrungsschatz von 680 Jahren. Wir können uns in andere hineinversetzen, wir können jede Biographie lesen, die je geschrieben wurde, wir können im Fernsehen immer nur den History Channel gucken, wir können die Schwären Aussätziger abtupfen — aber es bleiben immer diese ärgerlichen 680 Jahre, über die wir nie etwas erfahren werden. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb wir an Ideen glauben, die größer sind als wir selbst: Unsere kurze Lebensdauer betrügt uns um das Wissen um die wirklich wichtigen Dinge.
    Das erzählte ich William eines Nachts, als Jeremy im Bett lag und döste. Er sagte: »Lizzie, du bist wütend, weil du glaubst, du hast die Chance vertan, deinen Sohn kennenzulernen. Stell dich nicht so an. Nimm zum Beispiel mich — ich werde meine beiden Gören nie richtig kennenlernen. Ich weiß den ganzen Quatsch, den man als Vater eben weiß, aber was bringt mir das?«
    Das hatte Jeremy gehört. »Deine Kinder sind Monster. Du bringst ihnen kein Benehmen bei - sie sind wie streunende Katzen.«
    Ich sagte: »Jeremy!«
    »Liz, meine Kinder sind Monster. Ich war auch eins. Genau wie du.«
    »Ich hab mich nie als Monster gesehen.« »Lizzie, die Einbrecher in.«
    Mir fehlten die Worte. »Einbrecherin?«
    »Wir wussten alle, dass du in Häuser eingebrochen bist.«
    Da hob sogar Jeremy den Kopf. »Wie bitte?«
    Meine Ohren glühten.
    »Im Sommer. Deine Mutter stieg in Häuser ein, deren Bewohner gerade nicht da waren,

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