Electrica Lord des Lichts
eine Weile warten. So lange, bis der nächste findige Verstand dahinterkommen würde.
Zufrieden lehnte sich Cayden im weichen Leder des Sitzes zurück. Er hatte, was er wollte, eine weitere Kuriosität in seinem Besitz. Bald würde die Elektrizität in seinem Schloss Einzug halten, sodass sich seine Nächte nicht mehr von den Tagen unterscheiden würden. Ein seltener Anflug von Genugtuung überkam ihn. Fast erinnerte ihn das Gefühl an Freude.
Er lenkte den Wagen in einen gewundenen Weg, dessen Verlauf sich in knapp hintereinander folgenden Rechts- und Linkskurven schlängelte. Straße war nicht die passende Bezeichnung für den mit Schotter bedeckten Weg, trotzdem musste er sich keine Sorgen um brechende Radspeichen machen. Er hatte Gummireifen. Diese überaus praktische Entwicklung hatte er während eines Kurzaufenthalts im kleinen Dorf Stonehaven einem jungen Mann entlockt. Durch Zufall war Cayden auf die Gedanken des unauffällig wirkenden Mannes gestoßen, dessen Schwester er in Begriff war, auszusaugen. Kurz entschlossen hatte er die Kehle des Mannes gegriffen, ihn herabgezogen und neben seiner Schwester auf das Bett gepresst. Im Blutrausch war es erhebend, in den Kopf eines Sterblichen zu dringen. Dort einen kleinen misslungenen Antrag für ein Patent vorzufinden, kam ihm gelegen.
Cayden erreichte das Moorgebiet von Lochdon. Unwegsames Gestrüpp zog zu seiner Linken vorbei. Dahinter verbarg sich das Dorf in der Dunkelheit. Noch krähte kein Hahn. Die Leute schliefen friedlich. Er drosselte das Tempo, wodurch die Motorgeräusche gedämmt wurden. Aus der Ferne würde man es allenfalls wie ein Donnergrollen wahrnehmen. Ab hier war Vorsicht geboten, wenn er weiterhin unentdeckt bleiben wollte.
Wie so häufig in den vergangenen Jahren beschlich ihn ein beklemmendes Gefühl, sobald er sich seinem Familiensitz näherte. Ähnlich einer Vorahnung auf eine nahende Gefahr, die wohl kaum von eine paar Dorfbewohnern ausgehen konnte. Mit der Hand fuhr er sich über den Nacken, weil sich die feinen Härchen zu sträuben schienen. Er widerstand dem albernen Drang sich umzublicken, zu überprüfen, ob jemand hinter ihm saß, ihn beobachtete und seinen kalten Atem ausstieß. Selbstverständlich war er allein im Wagen. Vermutlich kamen diese seltsamen Ahnungen vom nahenden Sonnenaufgang, dem Wechsel der Gezeiten mit seinem immer wiederkehrenden Einfluss auf seinen Körper. Nicht umsonst mied er den Tag, denn zu dieser Zeit war er verletzbar wie ein Sterblicher. Konnte vermutlich sogar getötet werden. Selbstredend mied er das Risiko, diesen Umstand zu überprüfen. Ihm genügte die Tatsache, dass Sonnenlicht auf ihn denselben Effekt hatte wie Feuer auf der Haut eines Sterblichen. Wenn auch deutlich langsamer, dafür umso schmerzhafter. Damit die Gefahr möglichst gering blieb, schränkte er seine Tagesaktivitäten auf das Notwendigste ein. Ohnehin hatte er sich längst mit der Nacht und der damit einhergehenden Unverletzbarkeit seines Leibes arrangiert. Dem Schutz seiner Seele hingegen bedurfte es deutlich mehr. Er war als Vampir geboren worden und konnte von Glück reden, dass seine Eltern ihn nicht als missgestaltet angesehen hatten, sondern sich seinen Eigenarten nach ihrem Ermessen annahmen. So war ihm eine weitgehend unauffällige Kindheit vergönnt gewesen, zumal sich seine vampirischen Eigenschaften erst im jungen Erwachsenenalter endgültig entwickelt hatten. Wie viele seiner Art jedoch ein grausames Schicksal erlitten, weil sie, in einfache Verhältnisse hineingeboren, nicht dem entsprachen, was allgemein als normal galt, konnte er nur vermuten. Neugeborene starben schon für geringfügigere Abweichungen einen fragwürdigen Tod. Schicksal wie Natur schienen eigenen Gesetzen zu folgen. Ihm waren bislang nur zwei Vampire begegnet und das vor langer Zeit. Entweder gab es nur wenige oder sie hielten sich im Verborgenen, wie er es weitgehend tat.
Er lenkte den Wagen über die seitliche Auffahrt von Duart Castle. Beim Anblick des imposanten Schlosses, welches herrschaftlich auf den Klippen thronte, überkam ihn ein ungewohntes Gefühl von Heimkehr. Überrascht von seinen eigentümlichen Gedankengängen schüttelte er den Kopf. Jahrhundertelang war er durch die Welt gereist, hatte sich nur selten länger an einem Ort aufgehalten. Die Tatsache, dass er seit ein paar Jahren regelmäßig zum Schloss seiner Familie zurückkehrte, machte ihn noch lange nicht sesshaft.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH"
Weitere Kostenlose Bücher