Electrica Lord des Lichts
die Stelle war leer. Ihr Blick fuhr zum Beistelltisch neben dem Badezuber. Ihr Kreuzanhänger blitzte mahnend im Schein der Kerze auf. Sie fragte sich, ob Babu davon wusste oder von der anderen Frau, die Sue mit Cayden gesehen hatte. Sofern sie es sich nicht eingebildet hatte.
Möglicherweise konnte Babu diejenige sein, der hier Schutz geboten wurde. Darauf hätte sie auch gleich kommen können. Wie gedankenlos, nur an sich zu denken. Sie war vermutlich für die Zigeunerin die erste Gesprächspartnerin seit Langem.
„Ihr lebt schon eine Weile hier auf Duart Castle, du und ...“
„Waloja ist mein Bruder.“
„Gehört ihr nicht einem Volk der Nomaden an? Ich meine, euer Leben ist ungewöhnlich sesshaft.“ Sue räusperte sich.
Zum ersten Mal blickte Babu sie offen an. „Unsere Sippe wurde von Sheriff Black vertrieben, nachdem er ein paar unserer Leute zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt hatte.“
„Was haben sie verbrochen?“ Sue ahnte bereits, dass das Strafmaß vermutlich willkürlich hoch angesetzt worden war. Ein größeres Verbrechen wäre ihr sicher zu Ohren gekommen.
„Er nannte es gemeinschaftsschädliches Verhalten“, antwortete Babu.
Genau genommen waren alle Zigeuner einer Sippe Vagabunden. Wenn der Sheriff rechtlich dagegen vorgehen wollte, hätte er die ganze Gruppe behelligen müssen. Babu schien ihre Überlegungen zu erraten.
„Seine Kerker waren überfüllt. Das sind sie ständig. Deshalb wählte er willkürlich fünf Männer und Frauen zur Aburteilung unter der Auflage, dass meine Sippe sofort Lochdon verlässt. Waloja und mir gelang es, bei Lord Maclean Unterschlupf zu finden. Wir warten, bis die Haftzeit beendet ist, und werden dann von hier verschwinden.“
„Das tut mir leid“, erwiderte Sue. Blacks Säule der Rechtschaffenheit reichte nicht bis zum Sitz der Macleans. Sie konnte sich vorstellen, dass ihm diese Tatsache ein Dorn im Auge war. „Sind deine Leute auf der Felseninsel?“
„Nein. Seit drei Jahren im Kerker hinter Blacks Herrenhaus.“ Mit diesen Worten stapfte Babu auf die Tür zu. „Ihr solltet Euch nun eilen. Mylord wartet nicht gern.“
Sue lief los, um Babu aufzuhalten, und wäre beinahe über das Laken gestolpert, das sie wirr um ihren Leib geschlungen hatte. „Warte!“ Auf einmal fehlten ihr die Worte, weil zu viele Fragen gleichzeitig auf sie einstürmten. Außerdem schien sich ihr Gehirn verflüssigt zu haben, sodass kaum ein vernünftiger Gedanke zustande kam. Sie hielt inne. „Ich weiß nicht, wo der Herrensalon ist.“
Babus Kopf ruckte in Richtung Flur. „Immer dem Licht nach. Dort, wo es am hellsten erstrahlt, findet Ihr Cayden Maclean.“
Die Tür fiel krachend hinter Babu ins Schloss. Sofort drangen ihre eigenen Belange wieder in den Vordergrund. Das Schicksal der Zigeuner war zweifellos bedauernswert, doch Sue hatte mit ihren Problemen zu kämpfen. Sie hatte auch keinen guten Stand bei Sheriff Black und wollte sich gar nicht vorstellen, welche Strafe sie für den angeblichen Mord an ihrer Tante erwartete. Immer aussichtsloser schien ihre Situation zu werden und dazu hatte sie selbst beigetragen. Sie sank in die Knie, knotete den Stoff vor ihrer Brust zu einem festen Klumpen wie jener, der sich in ihrem Magen bildete. Was hatte die Zigeunerin gemeint? Zuflucht hatten sie und ihr Bruder gefunden, doch was war mit ihr? War sie eine Gefangene? Nein. Cayden hatte ihr versichert, dass sie jederzeit gehen konnte.
Sie war seine Geliebte.
Sue schlug sich die Hände vor das Gesicht, als könnte sie verhindern, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Seltsamerweise blieb die erwartete Verzweiflung aus. Stattdessen kam ihr die Botschaft, dass der Lord sie erwartete, wie eine unmissverständliche Aufforderung vor. Und sie wollte ihr nachgehen. Sie ließ ihre Hände in den Schoß sinken, richtete ihren Blick ins Leere. Ein seltsam fremdartiges Gefühl keimte auf. Es war aufregend und stark. Wie ein schützender Panzer verbannte es alle Ängste. Ihre Sorgen lösten sich in Luft auf. Zuversicht machte sich breit, doch auf eine abgeklärte Art und Weise.
Das Leben ist ein Moment. Sie war die Geliebte des Lords. Er hatte sie sein Begehren spüren lassen. Lady Beaton wurde sie jetzt genannt. Nun denn, sollte es so sein, wie es war. Als hätte ein kühler Frühlingswind ihren Kopf freigeblasen, zogen ihre Gedanken klar und deutlich durch sie hindurch.
Mit festen Bewegungen fing Sue an, ihr Haar zu ordnen, riss an den Strähnen, um einen dicken Zopf zu flechten.
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