Electrica Lord des Lichts
getäuscht. Das Band zwischen mir und meinem Mentor besteht. Der Baron hat nur abgewartet. Nun ist er zurückgekehrt und sinnt nach Rache.“
Verdattert starrte Sue ihn an. Das hatte sie nicht hören wollen. Sie hatte gehofft, wenn sie mehr über ihn erfahren würde, könnte sie darin die Antwort finden, welchen Platz sie in seinem Leben einnahm, weil sie nicht wagte, danach zu fragen. Ob er das amüsant fand oder ihr bewusst vor den Kopf stoßen wollte, konnte sie sich nicht erklären. Sie fand beide Möglichkeiten verletzend. Immer noch schaffte er es, seine Miene völlig ernst aussehen zu lassen. Es gab einen gewissen Grad an Verwirrung. War dieser überschritten, erschien einem nichts mehr unmöglich.
„Vampire trinken Blut von Menschen“, hauchte sie. „Das ist …“
„Widerwärtig. Aus deinem Blickwinkel.“ Seine Stimme klang schmerzerfüllt.
Sue schwieg. Unbegreiflich, dass er ihr eine solche Schauergeschichte aufzutischen versuchte, hatte sie eigentlich sagen wollen. Das sah ihm nicht ähnlich und genau da lag das Problem.
Was, wenn er die Wahrheit sprach? Widerwillen empfand sie seltsamerweise nicht, auch wenn das Bild vor ihr auftauchte, als er auf Duart die fremde Frau in inniger Umarmung gehalten hatte. Erst nachdem er es erwähnte, wurde ihr klar, dass sie die Vorstellung ekelerregend finden sollte. Tat sie aber nicht. Sie biss sich auf die Lippen. Anscheinend war sie aufgebrachter als ihr bewusst war. Oder mit ihr stimmte etwas nicht. Auf einmal fühlte sie sich schlaff und innerlich ausgedörrt.
„Ich friere. Können wir zum Wagen zurückgehen?“
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Kapitel 12
U
m sich von dem leidigen Gespräch mit Cayden abzulenken, setzte Sue ihre Erkundungstour durch Duart Castle fort. Es gab noch genug zu entdecken und möglicherweise konnte sie auf diesem Weg mehr über ihren geheimnisvollen Lord herausfinden.
Wenn er schon nicht bereit war, ihr zu sagen, was sie wissen wollte. Leider schoben sich immer mehr Zweifel in ihr Herz. Nur weil sie dabei war, sich gegen jegliche Vernunft in einen Adligen zu verlieben, von dem sie kaum etwas wusste, hieß das noch lange nicht, dass er ihre Gefühle erwiderte. Vermutlich war das die versteckte Botschaft hinter seiner fantastischen Geschichte. Ebenso die Tatsache, dass er mal wieder seit Tagen spurlos verschwunden war. Mittlerweile versuchte sie sich damit abzufinden, nichts weiter als eine unterhaltsame Begleitung für ihn zu sein, deren Gegenwart man für eine Weile genoss, bis man ihrer überdrüssig wurde. Langsam sollte sie sich Gedanken darüber machen, das Schloss zu verlassen und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Im Turm angekommen, fiel ihr Blick auf ein mannshohes Gebilde aus Holz. Es stand auf einem Tisch unter der gläsernen Dachkuppel. Zwei glänzende Spulen thronten über einem Hufeisen, das viel zu groß für jedes Pferd war. Darunter entdeckte sie ein rundes Gebilde aus kupfernen Lamellen und Bürsten. Den Messinghebeln und Knöpfen nach zu urteilen, ließ sich die Maschine einschalten. Zu welchem Zweck auch immer.
Auf einem Beistelltisch ausgebreitet fand sie Pergamentrollen mit Zeichnungen und Notizen. Sie beugte sich darüber und studierte die Aufzeichnungen. Wechselstromerzeuger mithilfe Hufeisenmagnet und Kommutator las sie in der Überschrift. Anscheinend war diese seltsame Apparatur maßstabgetreu nachgebaut worden und diente der Erzeugung einer Energieform namens Electrica. Angetrieben wurde das Ganze durch Dampfkraft, und wenn sie nicht alles täuschte, handelte es sich hierbei um eine Weiterentwicklung, die sich die meisten Menschen in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen vermochten. Sie selbst nicht ausgeschlossen, wären diese Aufzeichnung nicht von einer solch einleuchtenden Logik gewesen. Mit dem Finger zog sie Zeile für Zeile nach. Während sie las, kombinierte sie die Erklärungen über die Electrica mit den nebenstehenden Grafiken. Dabei schweifte ihr Blick immer wieder zum realen Abbild, welches den Hauptarbeitsbereich des Labors einnahm. Am oberen Ende ragte ein metallener Stab hinauf. Sollte es möglich sein, die Kuppel zu öffnen, könnte bei einem kräftigen Gewitter ein Blitz in das Labor geleitet werden. Das Ergebnis wäre pure, ungebändigte Elektrizität.
Anscheinend diente dieser Generator demselben Zweck, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass man damit eine neue Energieform kontrolliert erzeugen konnte. Sue war
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