Elefanten vergessen nicht
etablierte sie in einem Stuhl, schenkte ihr Kaffee ein und gab ihr ein Glas Kirsch.
»Ah!«, sagte Mrs Oliver mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich fürchte, Sie werden mich für schrecklich dumm halten, aber…«
»Ich lese, oder besser ich las in der Zeitung, dass Sie heute bei einem literarischen Essen waren. Berühmte Schriftstellerinnen. Ich dachte, so was würden Sie nie mitmachen.«
»Gewöhnlich nicht«, antwortete Mrs Oliver, »und ich werd’s auch nie wieder tun.«
»Aha! War es so schlimm?« Poirot war ganz Mitgefühl.
Er wusste über Mrs Olivers schwachen Punkt Bescheid. Übertriebenes Lob ihrer Bücher brachte sie immer aus der Fassung, hatte sie ihm einmal erzählt, weil sie nie die richtige Antwort darauf wusste.
»Es hat Ihnen nicht gefallen?«
»Bis zu einem bestimmten Punkt schon«, erwiderte Mrs Oliver, »aber dann passierte was sehr Unangenehmes.«
»Aha. Und das ist der Grund, weshalb Sie zu mir kommen.«
»Ja, aber eigentlich weiß ich es wirklich nicht genau. Ich meine, die Sache hat überhaupt nichts mit Ihnen zu tun, und ich glaube auch nicht, dass es im entferntesten die Art von Dingen ist, die Sie interessiert. Und ich selber bin auch nicht wirklich neugierig darauf. Aber irgendwie muss ich es doch sein, sonst wäre ich nicht zu Ihnen gekommen, um Ihre Ansicht darüber zu hören. Darüber was – was Sie an meiner Stelle täten.«
»Die Frage ist schwierig«, sagte Poirot. »Ich weiß, wie ich – Hercule Poirot – reagiere, aber ich weiß nicht, wie Sie handeln würden, so gut ich Sie auch kenne.«
»Eigentlich müssten Sie das aber beurteilen können«, sagte Mrs Oliver. »Wir kennen uns lange genug.«
»Ungefähr zwanzig Jahre?«
»Ich weiß nicht genau. Ich kann mich nie an Jahreszahlen oder Daten erinnern. Ich bringe alles durcheinander. Ich kenne 1939, da begann der Krieg, und ich erinnere mich an andere Daten, weil sich da merkwürdige Dinge ereigneten.«
»Jedenfalls gingen Sie zu dem Literatenessen. Es hat Ihnen nicht sehr gefallen.«
»Das Essen schmeckte ausgezeichnet, aber nachher…«
»Hat man Ihnen gewisse Dinge erzählt«, sagte Poirot mit der Güte eines Arztes, der sich nach den Krankheitssymptomen erkundigt.
»Nun, wir hatten gerade angefangen, uns zu unterhalten. Plötzlich stürzte sich eines dieser großen, vollbusigen Weiber auf mich, die es immer fertig bringen, jeden zu beherrschen. Man fühlt sich schrecklich ungemütlich. Wissen Sie, als ob man einen Schmetterling fängt oder so, aber ohne Netz. Sie hat mich irgendwie eingekreist und auf eine Sitzbank geschubst und dann begann sie, auf mich einzureden. Mit einem meiner Patenkinder fing sie an.«
»Soso. Mit einem Patenkind. Haben Sie es gern?«
»Ich habe sie viele Jahre nicht gesehen«, erklärte Mrs Oliver. »Ich kann nicht mit ihnen allen in Kontakt bleiben. Und dann stellte sie mir eine höchst beunruhigende Frage. Sie wollte wissen – du meine Güte, es fällt mir wirklich sehr schwer, es zu erzählen…«
»Nein, es ist nicht schwer«, warf Poirot freundlich ein. »Es ist ganz einfach. Jeder erzählt mir früher oder später alles. Ich bin ein Fremder, sehen Sie, da macht es nichts aus. Es ist einfach, weil ich ein Fremder bin.«
»Also«, sagte Mrs Oliver, »sie fragte mich nach dem Vater und der Mutter meiner Patentochter. Sie fragte mich, ob ihre Mutter ihren Vater oder ihr Vater ihre Mutter ermordet hätte.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich weiß, es klingt verrückt. Ich fand es auch verrückt.«
»Ob die Mutter ihrer Patentochter ihren Vater oder ihr Vater ihre Mutter ermordet hätte?«
»Genau!«
»Aber – war das eine Tatsache? Hatte ihr Vater die Mutter oder die Mutter den Vater tatsächlich ermordet?«
»Nun, sie wurden beide erschossen aufgefunden«, sagte Mrs Oliver, »in den Klippen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es in Cornwall war oder auf Korsika. So was Ähnliches.«
»Dann war es also wahr, was sie sagte?«
»Ja, dieser Punkt stimmte. Es passierte vor Jahren. Na schön, aber – warum kommt sie damit zu mir?«
»Weil Sie Kriminalschriftstellerin sind«, erklärte Poirot. »Sie sagte sicher, Sie wüssten alles über Verbrechen. Also, das ist wirklich passiert?«
»Ja. Ich glaube, ich erzähle Ihnen besser alles von Anfang an. Allerdings kann ich mich nicht mehr an alles erinnern. Es liegt ungefähr… nun, ich glaube, es liegt jetzt mindestens zwanzig Jahre zurück. An die Namen der Leute erinnere ich mich, weil ich sie mal gut gekannt habe. Die Frau
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