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Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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hatte Meara genauso gebrandmarkt wie der Fürst die Drei, aber es lag keine Gabe darin. Da war nur dieser Augenblick, dieser entscheidende Moment, auf dem Meara balancierte wie auf eines Messers Schneide. Der zerreißende Schmerz in ihr wurde stärker, bis er sich anfühlte, als würde er ihr gleich den Schädel spalten. Sie wünschte, er würde es tun.
    Die anderen kamen näher. Zitternd sagte Meara: »Ihr müsst wählen.« Die Worte kamen rasch von ihren Lippen. Es war die einzige Möglichkeit, die Schmerzen zu vertreiben. »Ich kann das nicht tun, nicht das alles. Bitte , hat die Hohe Frau gesagt. Ich stehe in ihrer Schuld, aber auch in der des Fürsten und des Traumspinners, der uns immer verstanden hat.« Sie begriffen nicht, aber das war egal. Wie sie selbst, so verstanden auch die beiden genug. Meara deutete in
den hinteren Teil der Kammer. »Was ihr sucht, liegt dahinter. Gleich werde ich schreien und euch verraten. Zumindest einen von euch.« Sie spürte, dass sich ihr Gesicht zu einem Lächeln verzerrte. »Einer kann fliehen. Einer muss bleiben. Versteht ihr?«
    Die Versengten wechselten einen raschen Blick und schwiegen.
    Mearas Stimme wurde lauter. » Versteht ihr? Los, los, oder ich werde euch beide verraten! Dann werdet ihr sterben, die Hohe Frau wird sterben, ihr alle, alle Verbündeten Haomanes, ihr solltet tot sein.« Wütend fuhr sie sich über die tränenden Augen. »Versteht ihr? Ich zerbreche, bin zerbrochen, kann das nicht tun!«
    Der Ältere legte die Hände auf die Schultern des Jüngeren und sagte rasch etwas in ihrer eigenen Sprache. Sein Gesicht wirkte ernst und war voller Stolz. So viel Liebe lag darin! Es zuckte in Mearas Innerstem wie eine Schlange. Sie hasste die beiden, hasste sie, hasste Tanaros, hasste die Hohe Frau, hasste die ganze Welt, die sie in diese ausweglose Lage gebracht hatte. Ach, was hätte alles sein können! Sie hätte anderswo sein können, hätte eine hübsche Frau in einer Schürze sein können, hätte Teig kneten können, während ein schöner Mann sie umarmte und lachte. Es wäre ein gutes Leben gewesen, ihr Leben, aber es war nicht so. Es war nie so gewesen, und es würde nie so sein.
    »Geh!« Sie spuckte das Wort aus. »Geh!«
    Der versengte Junge warf ihr rasch noch einen Blick zu, dann floh er.
    Meara holte tief Luft, füllte ihre Lunge. Der andere, der ältere Versengte, stand breitbeinig da und wartete auf das, was jetzt kommen würde. In seinen dunklen Augen lag gelassene Zustimmung.
    Meara stieß die Luft wieder aus, schrie.
     
    Geblendet von Tränen rannte Dani los.
    Es fühlte sich an, als würde er einen Teil von sich zurücklassen. Er ließ einen Teil von sich zurück. Er spürte, wie ihm die Felsen im Gang die Haut aufschlitzten und ganze Stücke wegrissen. Das schien ihm nur gerecht zu sein, denn er hatte den besseren Teil seines Selbst der Gnade der Irrlingsfrau überlassen. Er hörte Mearas
schrecklichen und durchdringenden Schrei, erfüllt von den Schmerzen ihrer gespaltenen Seele. Er hörte das darauf folgende Kreischen, das Rufen und Kämpfen.
    Onkel Thulu!
    Tausend Erinnerungen suchten seine Gedanken heim: Onkel Thulu, der ihn beschützte und führte; Onkel Thulu, der ihn das Jagen lehrte; der noch fette Onkel Thulu, der laut lachte, als er zum ersten Mal versuchte, ein Pferd zu besteigen, und der sich damit so abquälte, dass sogar Malthus lachen musste; Onkel Thulu, der am Fluss mit den Fjeltrollen gekämpft hatte; Onkel Thulu, der ihn auf dem Rücken zurück in die Trockengebiete geschleppt hatte.
    Was würden die Irrlinge mit ihm machen?
    Es war besser, wenn er es nicht wusste und nicht darüber nachdachte. Der Pfad führte nun steil abwärts. Dani lief ihn blind entlang, ertastete sich den Weg mit beiden Händen. Es war heiß, so heiß. Er fuhr sich mit dem Unterarm über Stirn und Augen, damit er wieder klarer sehen konnte.
    Da war ein Spalt in der Erde.
    Er war unergründlich tief. Und offenbar war er breiter geworden und gewachsen, trotz der sichtbaren Bemühungen, ihn zu versiegeln. Die Überreste verkohlter Balken und geborstener Felsplatten lagen an den Rändern. Blau-weißes Licht loderte hoch und warf scharf umrissene Schatten an die Decke. Dani ging nieder auf Hände und Knie, kroch voran und spähte über den Rand.
    Das Feuermark fauchte. Er hatte die Quelle gefunden.
    Er spürte, wie er beinahe ohnmächtig wurde, rollte sich auf den Rücken und packte das Tonfläschchen. Seine Lippen bewegten sich, als er das Lied des Seins

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