Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
Vom Netzwerk:
ihr wehtun würde. »Ich glaube schon. Ich glaube, es ist sogar sehr wichtig.«
    In den Gängen um sie herum wurden die Geräusche, die Dani bereits vorhin bemerkt hatte, immer lauter, und sie kamen näher. Es waren scharrende, huschende Laute. Irrlinge. Irrlinge hinter den Wänden, die auf sie zuliefen. Es war egal. Es hatte nie einen Rückweg gegeben, nicht nachdem sie so weit gekommen waren. Es ging nur noch voran. Die Irrlingsfrau winkte ihnen zu. Dani holte tief Luft. Er tastete hinter sich, stieß auf die robuste Wärme von Onkel Thulus Hand und umfasste sie fest.
    Gemeinsam betraten sie die Kammer.
     
    Meara sah zu, wie die Versengten eintraten.
    Was willst du von uns?
    Oh, sie hätte lachen können, lachen und lachen, während ihr die Tränen die Wangen herunterrannen. So ein schmuddeliger kleiner Kerl! Was wollte sie? Sie wollte Alarm schlagen, die anderen Irrlinge eilig herbeirufen, damit sie die beiden ergriffen. Sie wollte dem jungen Versengten ins Ohr flüstern und ihm Finsterfluchts Geheimnisse verraten.
    Er starrte sie mit großen, dunklen Augen an — mit dunkelfeuchten Wüstenaugen. Sie sollten voller Unschuld sein, aber sie waren
es nicht. Es lag zu viel Kummer, zu viel Wissen in ihnen. Früher mochte er einmal ein Junge gewesen sein, jetzt aber war er es nicht mehr.
    Die Irrlinge konnten sie beide mitnehmen.
    Heerführer Tanaros würde stolz sein, so stolz … aber er hatte ihr nie vertraut, sie nie wirklich gesehen . Sie hatte sich ihm angeboten: ihr Herz, ihren Körper, ihre Leidenschaft, die Gabe des Fürsten an Arahilas Kinder. Aber Tanaros war ein Mann und ein Narr und wollte das haben, was er nie haben konnte. Was würde er wohl tun, wenn sein Stolz verebbt war? Er würde sich von Meara abwenden, sie vergessen und sich nach ihr zu Tode sehnen.
    Der Kuss der Hohen Frau Cerelinde brannte noch auf ihrer Stirn.
    Bitte , hatte sie gesagt.
    Der andere Versengte beobachtete sie argwöhnisch und hielt dabei die Hand des Jungen. Er wirkte genauso zerschunden und erschöpft wie der Knabe. Offenbar hatten sie eine Menge durchgemacht. Es war eine Schande. Sie wollte die beiden nicht verraten. Sie wollte sie aber auch nicht retten.
    Gib ihnen alles an Hilfe, was dir möglich ist …
    Nicht beiden, nein. Das war zu viel. Ihr Kopf schmerzte so heftig bei dem Gedanken, als wollte er zersplittern. Sie schüttelte ihn heftig, erhob sich und näherte sich ihnen. Sie standen aufrecht da; der Ältere schien den Jüngeren abschirmen zu wollen. Meara beachtete ihn nicht und richtete all ihre Aufmerksamkeit auf den Knaben.
    »Du bist ganz schön schmutzig, weißt du?«, sagte sie in einem Ton der Zärtlichkeit, wie sie ihn bei einem Liebhaber oder einem Kind angewandt hätte, wenn die Umstände anders gewesen wären. Sie hob einen Zipfel ihres Rocks und wischte dem Jungen damit über das Gesicht. Sie waren ungefähr gleich groß. Er stand sehr still da; seine schmale Brust hob und senkte sich. Sie ließ ihren Rock wieder fallen und berührte das Tonfläschchen, das um seinen Hals hing. Es war unscheinbar, grob gemacht und hing an einem schmierigen Riemen. »Ist es das, was der Fürst haben will?«
    »Ja«, sagte er leise. »Ich glaube, das ist es.«
    »Dani«, sagte der andere warnend.

    »Dani.« Meara berührte sein Gesicht. Seine Haut war glatt und warm, und obwohl er Angst hatte, war nicht sie es, die dieses Gefühl bei ihm hervorrief. »Ist das dein Name?«
    »Ja. Und wie heißt du?«
    »Meara. Gefällt er dir?«
    Er lächelte. »Ja.«
    »Warum bist du hier, Dani?«, fragte sie neugierig.
    Er ließ den anderen los, hob die Hände und legte die Innenflächen aneinander. Die Haut war dort blasser als am Handrücken, aber sie waren von Schmutz und Schwielen sowie von unzähligen Abschürfungen und verschorften Wunden bedeckt. Dennoch erkannte sie die strahlenförmigen Linien in den Handflächen. Sie trafen sich in der Mitte und bildeten einen Stern.
    »Ich bin der Träger«, sagte er einfach. »Das ist meine Aufgabe.«
    Meara nickte. Sie verstand nicht, nicht wirklich, und andererseits verstand sie durchaus. Irrlinge hörten vieles. Der Versengte war Stück eines Bildes, eines schrecklichen Bildes, das niemals zusammengesetzt werden durfte. Zum zweiten Mal in ihrem Leben wünschte sie, ihr Wahnsinn würde sie überwältigen und die schwarze Grube unter ihr aufreißen.
    Wieder geschah es nicht. Der Kuss der Hohen Frau brannte auf ihrer Stirn; es war ein silbriges Mal, das die Flut des Wahnsinns eindämmte. Sie

Weitere Kostenlose Bücher