Elegie - Fluch der Götter
Augen waren riesig in dem ausgemergelten Gesicht. »Haomanes Willen ausführen.«
»Warum?« Tanaros kam einen Schritt näher. Die Hitze der Feuersäule war wie der Hauch einer Esse auf seiner Haut. »Weil Malthus es dir aufgetragen hat?«
»Am Anfang war es so.« Die Stimme des Jungen zitterte und war in dem Röhren des Feuermarks kaum hörbar. »Aber so einfach ist es nicht, oder?«
»Nein.« Etwas in den Worten des Jungen verursachte einen starken Schmerz in Tanaros’ Herz, und er sehnte sich nach dem, was hätte sein können. Auf eine seltsame Weise war es tröstlich, dass ein Feind sie aussprach. Am Ende stimmte es wohl doch, dass sie nicht so verschieden waren. »Nein, mein Junge, das ist es nicht.« Er holte tief Luft und machte noch einen Schritt vor. »Hör mir zu, Dani. Du musst das nicht tun. Was hat Haomane getan, dass die Yarru ihn so sehr lieben und seinen Befehlen folgen?«
Der Junge trat näher an die Quelle heran. »Was hat der Weltenspalter Satoris getan, dass ich stattdessen ihm gehorchen soll?«
»Er hat dich in Ruhe gelassen!«, sagte Tanaros scharf. »Reicht das
nicht? Bis …« Er verstummte, als er bemerkte, wie sich die Miene des Jungen veränderte. Das Entsetzen wich tiefstem Kummer. Irgendwie wusste es der Junge. Dieses Wissen stand zwischen ihnen. Es schien Tanaros, als hörte er in dem fauchenden Feuermark erneut die Bitten und das Flehen des sterbenden Yarru und das Zuschlagen der Fjel-Streitkolben. Und da wusste er, dass es für das Gespräch, auf das er gehofft hatte, zu spät war.
»Hast du sie eigenhändig getötet?«, fragte Dani ruhig.
»Ja«, sagte Tanaros. »Das habe ich getan.«
Die dunklen Augen beobachteten ihn eingehend. »Warum? Weil Satoris es dir befohlen hat?«
» Nein .« Tanaros biss die Zähne zusammen, zog sein Schwert und begab sich in die Reichweite des Jungen. »Ich habe ihn angefleht. Den alten Mann, den alten Ngurra. Nenn mir einen Grund! Verstehst du, Junge? Einen Grund, sein Leben und sein Volk zu verschonen, irgendeinen Grund! Weißt du, was er gesagt hat?«
Dani lächelte durch die Tränen, die aus seinen Augen quollen und auf seiner braunen Haut glitzerten. »Ja«, flüsterte er. »Wähle.«
»Das habe ich getan«, sagte Tanaros und nickte. »Und es tut mir leid, so wie mir die augenblickliche Lage leidtut, aber mein Fürst hat diese Schlacht nicht gewollt, und ich musste meine Pflicht erfüllen. Nimm jetzt die Flasche ab und leg sie vorsichtig auf den Stein, Dani. Vorsichtig .«
Der Junge betrachtete das schwarze Schwert, das sich langsam hob. Seine dunklen Augen waren wie die von Ngurra, erfüllt von Wissen und Bedauern. »Ich will dich das fragen, was du meinen Großvater gefragt hast«, sagte er. »Nenn mir einen Grund.«
»Verdammt, ich will das nicht tun!«, schrie Tanaros ihn an. »Ist dein Leben denn nicht Grund genug? Überlass mir die Flasche!«
»Nein«, sagte Dani nur.
Mit einem bitteren Fluch schlug Tanaros zu. Die schwarze Klinge schnitt eine Schneise der Finsternis durch das blendende Licht. Dani ließ die Flasche los und sprang nach hinten. Nun schwankte er am Rande der Quelle und war fast außerhalb von Tanaros’ Reichweite. Die Spitze seines Schwertes zerschmetterte das Tongefäß,
das der Junge noch um den Hals trug, und schlitzte das Fleisch darunter auf.
Stücke gebrannten Tons flogen umher.
Klares und schweres Wasser ergoss sich aus der zerschmetterten Flasche, wurde aber sofort von den hohlen Händen des Trägers wieder aufgefangen.
Das Wasser des Lebens.
Sein klarer und sauberer Duft erfüllte die Luft; er war üppig und mineralreich und erfüllt vom Versprechen des Wachsens und Grünens.
Etwas anderes gab es nicht für dieses Wasser; nur dies konnte es bewirken. Die kleine Gestalt des Trägers hob sich vor der lodernden Säule aus blau-weißem Feuer ab; in ihren Händen hielt sie das Wasser des Lebens, die blassen, vernarbten Handflächen waren aneinandergelegt, und die Linien in der Haut bildeten einen Stern.
»Es tut mir leid«, flüsterte Tanaros und schlug wieder zu.
Und Dani der Träger machte einen weiteren Schritt nach hinten und sprang in die Quelle hinein.
Er spürte, wie sie starben, sie alle.
Es waren so viele! Es hätte ihm nichts ausmachen sollen, nicht nach so langer Zeit, doch er hatte so viel von diesem Ort in sich aufgenommen. Von diesem Ort, diesen Leuten, diesem Zwist. Eine unendliche Anzahl feinster Fäden band ihn an das alles: Fäden des Schicksals, Fäden der Macht, Fäden seines
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