Elegie - Fluch der Götter
Abermals winkte er sie herbei, und eine Spur von Bösartigkeit kroch in seine Stimme. »Oder wollt Ihr fliehen und dafür sorgen, dass der Träger scheitert?«
»Nein.« Cerelinde dachte an den unbekannten Jungen aus dem Volk der Versengten und an das, was er bisher gewagt und ertragen hatte. Sie nahm all ihren Mut zusammen, schob ihre Angst beiseite und sah den Schöpfer mit klaren Augen an. In dem funkelnden Licht des Brunnens stand er reglos da und erwartete sie. »Nein, Fürst Satoris«, sagte sie. »Das werde ich nicht tun.«
Obwohl ihre Beine zitterten, zwang sie sich weiterzugehen. Schritt für Schritt kam sie die Treppe zur Brunnenkammer herunter.
Uschahin rief seine Irrlinge zusammen.
Als Antwort auf seinen Ruf trafen sie von überallher ein; seine Gedanken, ausgeworfen wie ein Netz über Finsterflucht, versammelten alle, welche die Seinen waren. Sie drängten sich in den Gemächern der Hohen Frau, soweit sie darin Platz fanden; andere standen draußen auf den Gängen.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er.
Sie erklärten es in einer Mischung aus Freude und Entsetzen. Die Jagd, der Versengte, das Eintreffen des wütenden Heerführers — und wie sie vor ihm davongestoben waren.
»Und die Hohe Frau?«, wollte er von ihnen wissen. »Woher wusste sie, dass sie fliehen musste?«
Sie tauschten Blicke aus, fielen auf die Knie, schrien ihn an, sie wüssten nichts darüber; nur eine Irrlingsfrau blieb aufrecht stehen. Uschahins Blick fiel auf sie, und er wusste, was sie getan hatte.
»Meara«, sagte er sanft. »Wie kommt es, dass ich dich so enttäuscht habe?«
Sie schüttelte den Kopf; Tränen rannen über ihre Wagen. »Nicht Ihr«, flüsterte sie. »Ihr nie, mein Fürst.«
Die anderen jammerten weiter.
Uschahin hob die Hand. »Nein. Ich habe euch alle enttäuscht. Ich habe es versäumt, meine Bürde auf mich zu nehmen. Aber mit eurer Hilfe wird alles hier enden.«
Das Jammern dauerte an, es wurde sogar noch lauter und vermischte sich mit Schreien der Angst und einem dunkleren, gutturalen Rufen sowie den Geräuschen rennender Füße und klappernder Rüstungen. Gerade als Uschahin den Mund öffnete und um Ruhe bitten wollte, stürzte einer der Finsterflucht-Wächter in den Raum und bahnte sich einen Weg durch die knienden Irrlinge wie ein Schiff, das durch niedrige Wellen pflügt. Er keuchte, und der Atem kam ihm rasselnd aus dem dicken Hals. »Fürst Traumspinner!« Er salutierte. »Haomanes Verbündete nähern sich dem Tor zur Verderbten Schlucht!«
»Was?« Uschahin starrte den Fjel an. »Die Gerölllawine …«
»Zu spät.« Der Wächter zitterte. »Der Zauberer, der weiße Edelstein … ich weiß nicht, was er gemacht hat, aber offenbar waren die Jungs zu langsam, und die Steine sind zu spät ins Tal gestürzt.« Er hielt inne; seine kleinen Augen unter der schweren Stirn waren hell vor Angst. »Kommt Ihr mit?«
Sie starrten ihn an: seine Irrlinge, die Fjel, die schuldbewusste Meara. Uschahin schmeckte Verzweiflung.
»Dazu ist keine Zeit mehr«, sagte er zu ihnen und deutete auf die
verborgene Tür. »Die Hohe Frau der Ellylon ist hinter der Wand verschwunden, und ihre Leute versuchen sie zu retten.« Er verstummte kurz und zog sein Schwert. »Ich werde sie jetzt verfolgen, denn ihr Tod ist unsere letzte Hoffnung — unsere einzige Hoffnung. Meine Irrlinge, ich trage euch auf, in jeden Gang und jedes geheime Loch der Festung Finsterflucht einzudringen. Wenn ihr auf die Hohe Frau stoßt, haltet sie auf; tötet sie, wenn ihr wollt. Ich übernehme die Verantwortung für alles, was nun kommen mag. Habt ihr mich verstanden?«
Die Irrlinge schrien ihm ihre Zustimmung entgegen und sprangen auf die Beine.
»Gut.« Uschahin deutete mit der Spitze seines Schwertes auf den Finsterflucht-Wächter. »Haltet das Tor«, sagte er grimmig. »Einen anderen Befehl kann ich nicht geben. Sag den Jungs, dass sie Widerstand leisten müssen, wenn Malthus seinen Soumanië gegen sie einsetzt und ihren Verstand zu vernebeln versucht. Sag ihnen, sie sollen an das lange Leiden des Fürsten und an ihre gefallenen Kameraden denken. Das gibt ihnen vielleicht Kraft. Und wenn nicht …« Er warf einen raschen Blick auf Meara. »Dann sag ihnen, sie sollen jeden Kameraden töten, der uns zu verraten versucht.«
»Ja, Anführer!« Der Wächter war froh, einen klaren Befehl erhalten zu haben, und rannte davon. Die Irrlinge folgten ihm; als brodelnde, schreiende Masse quollen sie aus der Tür. Uschahin sah ihnen
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