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Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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Flasche. Sie lag auf den sternförmig auslaufenden Linien seiner schmutzigen Handfläche, ein kleiner, zerbrechlicher und grob gefertigter Gegenstand; er bestand aus Ton, der aus dem spärlichen Vorkommen an einem der Wasserlöcher des Steinernen Hains stammte, war im Feuer des Baari-Holzes gebrannt worden und in einer Grube im Wüstenboden ausgekühlt.
    Darin befand sich das Wasser des Lebens, das er aus dem Brunnen der Welt geholt hatte. Wie der alte Ngurra ihm befohlen hatte, hatte er das Wasser mit der hohlen Hand aus dem Kübel geschöpft und vorsichtig das Tonfläschchen damit gefüllt. Es war das Lebensblut von Uru-Alat, dem Weltengott – das Geheimnis, das den Yarru-yami anvertraut war. Aus dieser Gabe konnte nur der Träger Nutzen ziehen, und nur der Träger konnte diese Bürde auf sich nehmen und bestimmen, was damit geschehen sollte.
    In den Apfelgärten von Malumdoorn hatte ein einzelner Tropfen einem toten Zweig grünes, knospendes Leben geschenkt, während die Sonnenstrahlen schräg durch die Äste gefallen waren und die Zwerge zugeschaut hatten, und neue Wurzeln waren entstanden, hatten Blätter und Blüten hervorgebracht.
    In Dani wuchs allmählich eine Gewissheit heran. Zum ersten Mal sah er deutlich den sich gabelnden Weg vor sich und begriff, dass er allein die Entscheidung fällen musste, welchen Pfad er einschlug. Es ging nicht darum, was Malthus wollte, dessen leidenschaftliche Worte ihn stark bewegt hatten; und es ging auch nicht um Carfax, der sein Leben für Danis Rettung geopfert hatte. Es
ging nicht einmal um seinen Onkel, was dieser bestätigen würde. Die Wahl hatte er allein zu treffen. Dies und nicht das Wasser war die wahre Bürde des Trägers.
    Dani hob den Kopf. »Nein, Onkel. Noch nicht.«
    »Ach, Junge!« Besorgnis lag in Thulus schwacher Stimme. »Das Wasser des Lebens ist zu wertvoll, um es zu verschwenden …«
    »Bin ich der Träger oder nicht?«, unterbrach Dani ihn. »Du sagst mir andauernd, dass es mein Recht ist zu wählen, Onkel, aber du gibst mir keinen Hinweis, was die richtige Wahl ist. Also gut, jetzt habe ich gewählt.« Mit dem Daumennagel arbeitete er an dem fest sitzenden Korken und lockerte ihn. Der schwache Duft des lebensspendenden und mineralhaltigen Wassers verbreitete sich in der kleinen Höhle. Mit vor Hoffnung und Angst hämmerndem Herzen beugte sich Dani über seinen Onkel, fuhr ihm über die Stirn und hielt ihm das Fläschchen nahe an die Lippen. »Ich habe mich entschieden, dass du leben sollst.«
    Onkel Thulu stieß einen letzten, langen, rasselnden Atemzug aus und schloss ergeben die Augen. »Möge es so sein, wie Uru-Alat es will«, flüsterte er.
    Der Gestank der eiternden Wunden kämpfte mit dem Duft des Wassers um die Vorherrschaft. Dani beachtete ihn nicht und richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf, die Flasche leicht zu kippen. Stumm sang er das Lied des Seins, die Geschichte von Uru-Alat und vom Tod des Weltengottes, durch den die Welt geboren worden war. Es war ein Gebet, ein Yarru-Gebet, das älteste aller Gebete, eine Geschichte, die in den Tiefen der Erde weitergegeben und auswendig gelernt wurde, wo die Adern des Lebens pulsierten und die Yarru sich vor Haomanes Zorn versteckt hatten. Es war eine alte Geschichte, älter als die Schöpfer. Sie war so alt wie die Drachen, die in der Tiefe aus den Knochen von Uru-Alat hervorgegangen waren und einen Funken des Feuermarks in ihren Bäuchen getragen hatten.
    Ein einzelner Tropfen sammelte sich auf dem tönernen Ausguss des Gefäßes. Er schwoll an, wurde rund und schwer. Er leuchtete wie eine durchscheinende Perle, glitzerte in der dunklen Höhle und spiegelte alles Licht der Welt wider.

    Darunter befanden sich die geöffneten Lippen von Danis Onkel. Dunkles Fleisch, gerissen, aufgeplatzt, verschmiert mit Moospaste. Die Spitze seiner Zunge, wie ein demütiger Bittsteller still auf dem Boden seines durstigen Mundes.
    Dani kippte die Flasche.
    Ein Tropfen, zwei, drei!
    Sie fielen wie Sterne durch die dunkle Luft in die sterbliche Tiefe von Onkel Thulus wartendem Mund. Und, o Uru-Alat, ein süßer Geruch verbreitete sich, während sie fielen, wurde stärker, ein Duft wie Glockenklang, wie lautes Händeklatschen.
    Es geschah so schnell, dass man kaum zusehen konnte. Onkel Thulu riss die Augen weit auf, blickte erstaunt drein. Seine Brust hob sich, als er einen großen Schwall Luft einatmete. Verblüfft schrie Dani auf, taumelte zurück und hätte beinahe das Wasser des Lebens vergossen. Schnell

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