Elegie - Fluch der Götter
drückte er den Korken auf die Tonflasche und schob sich die Handknöchel in den Mund, denn er fürchtete, sein Schrei könnte die Fjeltrolle anlocken.
»Ach, Dani, mein Junge!« Onkel Thulu setzte sich aufrecht. Das Strahlen in seinen Augen rührte nun nicht mehr vom Fieber her; es war das Strahlen des Sonnenlichts auf klarem Wasser, ein Versprechen von Leben und Gesundheit. »Wenn das Dummheit war, dann war es eine wunderbare Dummheit!« Er grinste, zeigte seine starken, weißen Zähne, riss das Hemd auf und entblößte seine Brust. »Sag mir, was du siehst!«
Unter der fäulnisverklebten Wolle war Thulus Haut glatt und dunkel und glänzte vor Gesundheit. In dem schwachen Licht erkannte Dani kaum mehr die drei undeutlichen Kratzspuren; sie waren so blass wie lange geschlossene Wunden. Er seufzte erleichtert auf. »Sie sind wirklich verheilt, nicht wahr?«
»Mehr als nur verheilt!« Die Stimme seines Onkels zitterte vor Freude und hallte von den Höhlenwänden wider. »Ach, Junge! Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie besser gefühlt! Ich könnte …«
»Psst.« Dani legte Thulu einen Finger an die Lippen. »Die Fjeltrolle. «
»Du hast recht.« Sein Onkel nickte. »Ja, natürlich.«
»Ich werfe noch einmal einen Blick nach draußen.« Ohne auf eine Erwiderung Thulus zu warten, drehte sich Dani um und wand sich aus dem engen Höhleneingang. Mit dem Fläschchen in der einen Hand und der schmutzigen Schlinge, in welcher der andere Arm noch immer steckte, war es ein unbeholfenes Vorankommen. Er duckte sich unter den schützenden Kiefernzweigen hindurch und kroch auf dem Bauch ins Freie, bis er klare Sicht hatte.
Dort hinten, im Südosten, erkannte er einen sich bewegenden Fleck in der Landschaft und das undeutliche Glitzern von Stahl. Er musste nicht erst auf den Baum klettern, um sie auszumachen. Die Fjel waren schon an ihnen vorbeigezogen. Sie kamen schnell voran … und sie würden genauso schnell wieder zurückkommen.
»Sind sie weg?«
Dani zuckte unter dem Klang von Onkel Thulus Stimme zurück. Er warf einen Blick über die Schulter und sah Thulu vor der Höhle stehen. »Ja, aber noch nicht sehr weit. Onkel, versteck dich, bitte !«
»Entschuldige, Junge.« Thulu holte zitternd Luft und ging in die Hocke. Im hellen Licht des Tages wirkte er noch kraftvoller – beunruhigend kraftvoll. Die Muskeln an seinen mächtigen Schenkeln zuckten vor Vitalität. »Es ist nur so, dass … ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber es ist wie ein Feuer in meinen Adern, Dani. Ich kann mich einfach nicht ruhig halten.« Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. »Das ist eigentlich ganz gut, nicht wahr? Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Du musst aber noch ein paar Minuten still sitzen.« Dani saß gebeugt da und arbeitete daran, die starken Fasern der gerissenen Thukka-Ranke zu flechten, an der die Flasche gehangen hatte. »Wir gehen nirgendwohin, solange diese Fjeltrolle nicht außer Sichtweite sind.«
»Und wohin gehen wir dann, Träger?« Thulu stellte ihm diese Frage sanft; sie erinnerte an die Worte, die Dani vor Angst und Wut ausgesprochen hatte. »Völlig unerwartet bin ich noch da und kann dich führen. Wohin möchtest du gehen?«
Dani senkte den Kopf; das zerzauste schwarze Haar verbarg sein
Gesicht. »Nach Finsterflucht«, murmelte er. »Wir gehen nach Finsterflucht, Onkel.«
»Bist du sicher?«
»Ja.« Er fuhr mit dem Finger über die Tonflasche. »Ich habe meine Wahl getroffen, Onkel. Ich bin jetzt für das Wasser des Lebens verantwortlich. Und wenn es Fragen gibt, die der Träger stellen sollte …« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht sollte ich sie in Finsterflucht stellen.«
Onkel Thulu beobachtete ihn eingehend. »Es sind die Abgesandten von Finsterflucht, die dir das Leben nehmen wollen.«
»Ich weiß.« Dani prüfte die Stärke der neu geflochtenen Ranke und schätzte, dass sie halten würde. Er hob den gesunden Arm, hängte sich das Fläschchen wieder um den Hals und spürte, wie es sich an seine Brust schmiegte. »Ich habe ihnen einen guten Grund dafür gegeben.«
Thulu deutete mit dem Kopf auf Danis linken Arm in der Schlinge. »Ich weiß, was ich vorhin gesagt habe. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns und müssen schneller als die Fjeltrolle sein. Welche Fragen du auch stellen magst, es wird nichts an ihren Befehlen ändern, zumindest nicht hier und jetzt. Ein einziger Tropfen aus dieser Flasche …«
»Nein.« Dani schüttelte den Kopf. Die Angst war von
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