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Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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sich an ihre Seidenrobe, ruhte auf ihrem ernsten, wunderschönen Gesicht
in liebender Segnung. Ungerecht, wie ungerecht! Dieser Anblick erfüllte Meara mit einem schrecklichen Verlangen nach aller verlorenen Schönheit der Welt, nach allem, was hätte sein können und nicht war. Kein Wunder, dass Heerführer Tanaros’ Gesicht immer so sanft wurde, wenn er sie ansah. Meara senkte den Kopf, biss die Zähne zusammen und dachte daran, wie er ihre Annäherungen zurückgewiesen hatte.
    Sie war eine Närrin; nein, er war der Narr. Sie wäre mit wenig zufrieden gewesen – mit so wenig. War das Wahnsinn oder verzweifelte geistige Gesundheit? Sie wusste es nicht länger. Liebe, Suppe, Gift, Treue, Narrheit. Was war was?
    Die Hohe Frau lächelte sie an, als sie das Tablett auf den Tisch stellte. »Vielen Dank, Meara.«
    Was kostete es sie, freundlich zu sein? Am Ende gar nichts. Sie war eine Ellyl. Die Ellylon hatten Fürst Uschahin den Rücken zugekehrt, als er noch ein unschuldiges Kleinkind gewesen war, weil er ihnen nicht gut genug gewesen war, obwohl ihr eigenes Blut durch seine Adern rann. Er trug den Makel der Gewalt, den Makel des Samens von Arahilas Kindern, welche die Gabe des Fürsten Satoris angenommen hatten. Keiner war ihnen gut genug. Keiner war ihr gut genug.
    Auch Meara nicht, für die man doch nur Mitleid empfinden konnte.
    Auch Heerführer Tanaros nicht, der sie beschützte.
    Nicht einmal der Fürst selbst, nein, nicht einmal Fürst Satoris, der niemanden abwies. Dessen Schöpferherz so groß war, dass er sie alle willkommen hieß, auch wenn er blutete. Der in Uschahin Traumspinner ein einzigartiges und wundervolles Wesen sah, der seine Schmerzen verstand und achtete. Der all jenen, welche von den anderen Schöpfern verworfen worden waren, Unterschlupf und Schutz bot, ihnen einen Grund zu leben und zu dienen gab und der auch ihre geringsten Beiträge schätzte.
    Meara liebte ihn; ja, das tat sie wirklich.
    Dennoch klebte ihr die Zunge am Gaumen, als die Hohe Frau der Ellylon den Deckel von der Schüssel hob und der Dampf aufstieg. War es richtig? Was war richtig? Spielte es eine Rolle? Dieser
Gedanke war ihr unangenehm und löste einen ganzen Schwall von Geplapper aus – Worte, die sie früher einmal gesprochen hatte, hallten nun in ihrem Schädel wider.
    Weißt du, du solltest sie töten. Es wäre das Beste .
    Die Hohe Frau Cerelinde senkte ihren silbernen Löffel, füllte ihn mit Brühe, hob ihn an die Lippen und blies sanft über die dampfende Oberfläche. Meara hätte das Gleiche getan. Es war nicht gerecht. Waren Haomanes und Arahilas Kinder wirklich so verschieden? In ihrem Kopf jagten die Gedanken einander, vermischten sich mit ihren Worten, ihren zersplitterten Visionen und bruchstückhaften Erinnerungen, bis sich vor ihr ein dunkler Abgrund öffnete. So war es schon immer gewesen, seit sie zwölf Jahre alt war. Die Welt kippte, und ihre Gedanken kreisten hilflos in Spiralen umher, rutschten in ein Chaos aus Wiederholung und Gebrabbel und versuchten einem Muster Ausdruck zu verleihen, das zu groß war, um von ihr erfasst werden zu können.
    Der Löffel hielt auf seiner Reise inne. »Meara?«
    Sie hielt sich den Kopf fest und versuchte die innere Flut einzudämmen.
    Wäre das Beste das Beste der Rest das Beste zum Letzten das Beste der Rest das Biest Beste gepresst Gebrest für das Fest der Reste das Beste das Biest der Rest …
    Die Worte schlüpften durch ihre zupackenden Finger, schlüpften auf ihre brodelnde Zunge, schlüpften durch ihre zusammengebissenen Zähne.
    … gegessen gepresst das Biest das Gebrest zuletzt das Fest gepresst …
    Worte und Worte und Worte krochen wie Insekten durch ihren Kopf, fielen von ihren Lippen, eine steigende Flut, und irgendwo: weitere Worte, andere Worte, wohltönend und hallend, Worte so hell und gerade und ordentlich wie die Klinge eines Schwertes.
    Die Hohe Frau Cerelinde stand da und redete. Ellylon-Worte, Worte der Macht und uralten Magie, Worte wie ein Schwert, hell, gleißend. Jede Silbe klang wie eine Glocke, trieb die dunkle Flut des Wahnsinns zurück, und Meara weinte, als sie vergingen, denn die furchtbare Reue, die ihnen folgte, war noch schlimmer.

    In der darauf folgenden Stille kehrte die Hohe Frau wieder zum Tisch zurück. Tropfen der Brühe hatten das weiße Leinen befleckt. Mit einer langsamen, widerstrebenden Geste streckte sie die Hand über der dampfenden Schüssel aus und flüsterte eine sanfte Beschwörung. An ihrem Finger steckte ein

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