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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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wird. Wundert Ihr Euch da, dass sie kaum jemals schweigen?«
    »Nein.« Tränen benetzten ihre Wimpern. »Warum, Tanaros?«
    »Seht her.« Er ging auf die Knie und teilte die dichten, grünen Blätter der Clamitus. Darunter wuchs noch eine andere Pflanze nah am Boden, ganz weiß und leuchtend, die in ihrem Schattenbett schimmerte. »Berührt sie einmal.«
    Sie kniete sich neben ihn und tat es, indem sie mit der Fingerspitze über die Blütenblätter strich.
    Die Blume erbebte, und die Blüte hing plötzlich schlaff herab.
    »Was habe ich getan?« Cerelinde blickte verwirrt auf.
    »Nichts.« Tanaros schüttelte den Kopf. »Das ist die Mortexigus, Hohe Frau, man nennt sie Kleinertod. Es gehört zu ihrer Natur, dass sie so tut, als stürbe sie, wenn man sie berührt. Auf diese Weise stößt sie ihre Pollen ab.«
    Cerelinde kniete am Boden, den Kopf gesenkt, und sah, wie sich die Pflanze wieder bewegte. »Wieso zeigt Ihr mir das alles, Tanaros?« , fragte sie leise.
    Eine leichte Brise wehte durch den Garten, trug den Geruch der Erinnerung mit sich und ließ die Clamitus kurz läuten. Tanaros erhob sich, und seine Kniegelenke knirschten. Er trat ein paar Schritte von ihr weg. »Fürst Satoris hat Euch zu sich gerufen, um mit Euch zu sprechen.«
    »Ja.« Sie rührte sich nicht.
    »Was hat er gesagt?«
    »Viele Dinge.« Cerelinde beobachtete ihn. »Er sagt, die Prophezeiung sei eine Lüge.«

    »Glaubt Ihr ihm das?« Tanaros wandte sich ihr wieder zu.
    »Nein.« Die schlichte Wahrheit, schlicht ausgesprochen.
    »Das solltet Ihr aber.« Ein harter Ton lag in seiner Stimme. »Er spricht die Wahrheit, müsst Ihr wissen.«
    Ihr Gesicht war ruhig. »Warum fürchtet Ihr sie dann, Tanaros? Wieso bin ich hier, wenn die Prophezeiung eine Lüge ist? Wieso ließ man mich Aracus Altorus nicht in Frieden heiraten?«
    »Ist es das, was Ihr uns hier in Finsterflucht bringen wolltet?«, fragte er sie. »Frieden?«
    Auf diese Frage hin sah sie weg. »Der Gedankenfürst kennt den Willen von Uru-Alat.«
    »Nein!« Tanaros presste die geballte Faust gegen seinen Schenkel und zwang sich, ruhig zu atmen. »Nein, den kennt er nicht. Haomane kennt die Macht des Denkens, das ist alles. Das Rauschen des Wassers in einem Bach, das Rauschen des Blutes in den Adern oder das des Samens in den Lenden … auch diese Dinge sind Uru-Alat, und von diesen Dingen versteht Haomane der Erstgeborene nichts. Das ist der Kern der Wahrheit, den er in die Lüge der Prophezeiung hineingewoben hat.«
    Cerelinde fasste sich. »Die anderen Schöpfer sind anderer Ansicht, Heerführer.«
    »Sind sie das?« Tanaros unterdrückte ein bitteres Lachen und deutete auf den Mond. »Seht dort hinauf, Hohe Frau. Arahilas Mond strahlt segnend auf Fürst Satoris’ Garten.«
    Ihr Blick war voller Mitleid. »Was soll ich nun Eurer Meinung nach sagen? Arahila die Schöne ist eine Schöpferin, Tanaros. Sogar der Weltenspalter verdient in ihren Augen die Erlösung.«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Oh Cerelinde! Versteht Ihr denn nicht? Jeder der Schöpfer, jeder der Sechs, könnte Torath verlassen und die Trennenden Meere überqueren. Sie tun es nicht.« Er hob das Kinn und sah auf die Sterne. »Sie tun es nicht«, sagte er, »weil sie Angst haben. Sie fürchten den Zorn Haomanes, und sie fürchten ihre eigene Sterblichkeit. Selbst Schöpfer können sterben, Cerelinde. Und sie haben Angst, den Teil der Welt zu betreten, in der sich der Gottestöter befindet.«

    »Ist dies die Lehre dieses Gartens?« Ihre grauen Augen blickten kühl und ungläubig.
    »Nein.« Tanaros deutete auf die Mortexigus. »Vielmehr das hier: Hohe Frau, jeder Menschensohn würde Euch das geben können, was Ihr braucht. In unserer Sterblichkeit tragen wir den Schlüssel zum Leben. In uns liegt die Gabe, die Fürst Satoris nicht mehr länger verleihen kann, der Schlüssel zum Überleben der Riverlorn. Euer Volk und meines, verbunden. Das ist die Wahrheit der Prophezeiung, die tiefere Wahrheit.«
    Sie runzelte die Stirn, und es war, als zöge eine Wolke über das helle Gesicht des Mondes. »Ich verstehe nicht.«
    »Ist es nicht so, dass die Zahl der Ellylon schwindet, während die der Menschen wächst?«, fragte er sie. »So ist es gewesen, seit die Welt geschaffen wurde. Ohne Fürst Satoris’ Gabe werden die Ellylon eines Tages vom Angesicht Urulats verschwinden.«
    »Nun seid Ihr es, der lügt«, sagte Cerelinde leise. »Der Gedankenfürst wird nicht zulassen, dass seine Kinder verdrängt werden, nicht

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