Elegie - Herr der Dunkelheit
geglaubt. Jetzt nicht mehr. Verwundet mochte sie sein, ja. Das Tal von Gorgantum hatte ebenso sehr unter der Wunde des Schöpfers gelitten wie Fürst Satoris selbst. Es litt unter dem Mangel an Sonnenlicht, wie auch Fürst Satoris, den Haomanes Zorn unter die Erde getrieben hatte. Aber wie der Schöpfer hatte auch das Tal überlebt und sich angepasst.
Und wer hätte sagen wollen, dass keine Schönheit in ihm lag?
Vor ihnen war ein Rascheln im Wald zu hören. Hier gab es keine Pfade, aber Uschahin Traumspinner führte ihn, und der war in den
Wäldern zu Hause. Von hinten wirkte er gesund, mit gerade aufgerichtetem Rücken und sicherem Schritt. Sein blassgoldenes Haar leuchtete unter dem grünen Dach. Man könnte ihn, dachte Tanaros, für einen jungen ellylischen Dichter halten, der durch die Wälder streifte.
Von vorn jedoch nicht. Diesen Fehler machte niemand.
Dort war das erste Nest, ein zerzaustes Rund, hoch über ihren Köpfen zwischen die Äste geklemmt. Und weitere, hier und dort, überall um sie herum, als sie den Rabenhorst erreichten, und die Luft war nun vom Krächzen der Vögel erfüllt. Uschahin blieb stehen und sah sich um, und ein Lächeln lag auf seinem zerstörten Gesicht.
Auf den Ästen hüpften und saßen die Raben mit schwarz glänzendem Gefieder. Sie verteidigten ihre Nester oder stritten um kleine Zweige. Sie flogen von Baum zu Baum, auf Flügeln wie schwebende Schatten.
»Krock !«
Der Ruf erscholl so nahe hinter ihm, dass Tanaros zusammenfuhr. »Bring!«
Dort, auf einem niedrigen Ast, saß ein Rabe. Sein Rabe. Der verletzte Jungvogel, den er vor sechs Jahren halb erfroren im Garten seines Herrn gefunden hatte, war längst so groß wie ein Falke, hatte aber noch dasselbe unordentliche Federbüschel an der Oberseite seines Kopfes. Der Rabe legte den Kopf schräg und sah ihn erst mit einem runden, glänzenden Auge an, dann mit dem anderen. Beruhigt putzte er sich dann den scharfen, kräftigen Schnabel an dem Zweig.
Tanaros lachte. »Ob er wohl zu mir kommt, was meinst du?«
Uschahin zuckte ungelenk wie immer die Achseln. »Versuch es.«
Um die Raben kümmerte sich der Traumspinner. Das Talent dazu hatte ihm nicht Fürst Satoris verliehen, sondern die Wehre, bei denen er aufgewachsen war. Überall sonst hatten die schwarzen Vögel ihre festen Gebiete. Nur hier in Finsterflucht sammelten sie sich in einer großen Schar, und das auch nur, wenn sie gerufen wurden, denn Uschahin Traumspinner hatte sie zu den Augen und Ohren von Fürst Satoris gemacht und sandte sie für ihn über das Land.
Diesen hier jedoch hatte Tanaros aufgezogen.
»Bring«, sagte er und streckte den Unterarm aus. »Komm her.«
Der Rabe gurrte kehlig, beäugte ihn und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Tanaros wartete. Als er beinahe schon aufgeben wollte, erhob sich der Rabe geschmeidig in die Luft, breitete die Flügel aus und landete im Gleitflug auf Tanaros’ gepolstertem Arm, wo er sich unerwartet schwer niederließ. Er hüpfte auf und nieder und gab ein tiefes, glucksendes Geräusch von sich.
»Oh Bring.« Aus der Nähe glänzten die Federn des großen Vogels in üppigem Blauschwarz, wie winzige ineinandergesteckte Stacheln, die am Hals eine leichte Krause bildeten. Tanaros glättete sie mit der Fingerspitze und freute sich beinahe unsinnig darüber, den Raben wiederzusehen. »Wie geht es dir, alter Freund?«
Bring gluckste wieder, wischte den Schnabel an Tanaros’ Arm, gab dann ein tiefes »Krock!« von sich und hüpfte erwartungsvoll weiter. Tanaros griff in seine Gürteltasche und holte einen Fleischbrocken heraus, fütterte den Raben damit, zog dann weitere hervor. Von den Bäumen aus sahen ihnen die anderen zu, und einer hob laut schimpfend die Stimme.
»Er mag dich sehr.« Uschahin klang belustigt.
Tanaros lächelte und erinnerte sich an den Winter, als er den Jungvogel in seinen Räumen gehalten hatte. Er hatte fürchterlich viel Dreck gemacht, und selbst jetzt noch fand er Dinge wieder, die der Rabe gestohlen und versteckt hatte. »Missfällt dir das?«
Das Halbblut zuckte die Achseln. »Die Wehre jagen mit den Raben, und Raben jagen mit den Wehren. Es ist die Angewohnheit der Menschen, alles Wilde zähmen zu wollen. Wenn du versucht hättest, ihn einzusperren, hätte mir das missfallen.«
»Das hätte ich nie getan.« Als er merkte, dass es kein Fleisch mehr gab, verabschiedete sich der Rabe wieder, und die starken Krallen stachen durch das gefütterte Leder, als er sich von
Weitere Kostenlose Bücher