Elegie - Herr der Dunkelheit
Tanaros’ Arm schwang, auf einem Ast in der Nähe landete und sich dann unter den neidischen Blicken seiner Artgenossen putzte, wobei das Federbüschel auf seinem Kopf höhnisch wippte. Tanaros sah dieser kleinen Gehässigkeit vergnügt zu. »Bring ist sein eigener Herr.«
»Es ist gut, dass du das begreifst. Die Wehre haben sie geschickt,
aber die Raben dienen Fürst Satoris aus eigenem Antrieb.« Uschahin rieb sich mit den Händen die dünnen Arme; die Morgenluft war kühl. »Du hast das Bedürfnis, andere zu lieben, Vetter. Schade, dass dir dazu nur Vögel und Fjeltrolle zur Verfügung stehen.«
»Liebe.« Zorn wallte in Tanaros’ Herzen auf. »Was weißt du denn von Liebe, Traumspinner?«
»Nichts für ungut, Vetter.« Uschahin hob die verdrehten, gebrochenen Hände. »Ich meine das nicht beleidigend. Das Gewicht des Krieges senkt sich auf uns herab, und all unsere Eigenschaften werden auf den Prüfstand kommen. Einst liebtest du einen Sohn der Altorus. Und«, setzte er hinzu, »einst liebtest du eine Frau.«
Tanaros lachte so rau und hart wie ein Rabenschrei. »Altoria liegt in Trümmern wegen dieser Liebe, Vetter , und die Söhne der Altorus sind heute nur noch die Grenzwacht von Curonan. Hast du das vergessen?«
»Nein«, sagte Uschahin schlicht. »Ich weiß es wohl. Aber es ist viele Jahre her, und Hass brannte damals in dir wie das Feuermark. Jetzt ist Sehnsucht in dir.«
Der ruhige Blick der ungleichen Augen war kaum zu ertragen und dämpfte seinen Zorn. Was war sein Leid, verglichen mit dem des Halbbluts? Uschahin Traum spinner war schon vor seiner Geburt ungewollt gewesen. Ein unglücklicher Zufall hatte eine Gesandtschaft der Ellylon von den Riverlorn im Sechsten Zeitalter der Gespaltenen Welt nach Pelmar geführt, und eine unglückliche Eingebung weckte in einem jungen pelmaranischen Edelmann die Lust.
Ein Menschensohn verging sich an einer Tochter der Ellylon.
Und Uschahin war die Frucht dieser bitteren Vereinigung, die der Prophezeiung einen schweren Schlag versetzte. Uschahin der Ungewollte, dessen Geburt das Schicksal seiner Mutter besiegelte – obwohl er damals noch gar keinen Namen gehabt hatte, und der ihre wurde verborgen in den Nebeln der Geschichte. In ihrer Trauer verpflichteten die Ellylon die Familie des Vaters dazu, das namenlose Kind als eines ihrer eigenen aufzuziehen.
Stattdessen aber verabscheuten ihn die Menschen, denn sein bloßes Dasein erinnerte sie an ihre Schande.
Selbst in der Geschichte des Traumspinners konnte man den Söhnen der Altorus nicht entgehen, dachte Tanaros, denn auch hier war einer von ihnen dabei gewesen. Fürst Faranol, Faranol Altorus, hatte die ellylische Gesandtschaft im Namen Altorias begleitet. Er war ein mächtiger Jäger, der sein Wild kühn verfolgte, und er war mit einer pelmaranischen Jagdgesellschaft unterwegs, die den Wehren nachstellte, die sich über die nördlichsten Außenposten menschlicher Ansiedlungen hermachten. Oronins Kinder waren tödliche Räuber, eine ganz eigene Art, den Wölfen so ähnlich wie den Menschen. Und auch wenn die Jäger deren Graufrau nicht fanden, sie fanden ihre Höhle – ihre Höhle, ihre Jungen und ihren Gefährten.
Fürst Faranol erschlug den Gefährten der Graufrau selbst, er durchbohrte ihn mit einem Speer, als er sterbend vorwärtssprang, der Schaum an seiner Schnauze blutrot gefärbt. Die Geschichte hatte man in Altoria noch erzählt, als Tanaros ein Kind war.
Ein mächtiger Kampf war es gewesen, sagte man.
War es ein mächtiger Kampf, fragte er sich, als Faranol die Jungtiere erschlug? In Pelmar bejubelte man ihn dafür, sogar noch, als sie sich von Uschahins Vater und seiner Familie abwandten. Aber das Unglück war geschehen, und es kam zu keinem Bündnis mehr; die Ellylon reisten voll Zorn und Trauer ab, die Taten von Faranol Altorus blieben unbelohnt, und weit draußen im Lande Pelmar blieb die Zauberin des Ostens unbehelligt.
Mehr erreichte jene Gesandtschaft nicht.
Und sieben Jahre später, als ein namenloses Halbblut, die Schande seiner Familie, halb verhungert und zerlumpt auf dem Marktplatz der Hauptstadt eingekreist und mit Schlägen traktiert wurde, wer hätte sich da um ihn gekümmert? Als er sich in die Wälder schleppte, um dort zu sterben, die Knochen seines Gesichts zerschlagen, die Glieder verdreht, die Finger gebrochen und verkrüppelt, wer hätte sich um ihn gekümmert?
Nur die Graufrau der Wehre, die noch immer um ihren erschlagenen Gefährten und ihre verlorenen Jungen
Weitere Kostenlose Bücher