Elegie - Herr der Dunkelheit
den lehmigen Boden zwischen den Buchen, fragte und wartete. Was gibt es, kleine Brüder? Welches Unglück hat eure Sippe getroffen?
Ein Rabe landete auf einem nahe gelegenen Ast und wischte sich den Schnabel zweimal ab.
Ein weiterer setzte sich in seine Nähe.
Drei hockten auf dem Rand eines verlassenen Nestes.
Gedanken, die von Kopf zu Kopf gingen, flimmerten durch sein Bewusstsein. Nichts, was sie gesehen hatten, nein; die, die es gesehen hatten, lebten nicht mehr und konnten im Rabenspiegel nicht mehr von den Geschehnissen künden. Nur diese Spuren waren noch vorhanden und trieben wie Flaumfedern durch das Bewusstsein der Schar. Sumpfgebiete, eine endlose Ebene voller Riedgras. Eine kräftige Brise, die warm unter die ausgebreiteten Flügel fuhr. Ein gefundenes, ein erreichtes Ziel. Eins, zwei, drei, vier … sieben, die in Kreisen langsam zur Erde hinabstießen, eine sanfte Brise, auf der man gut segeln konnte, die Flügel ausgestellt, noch immer hoch, so hoch, nur so nahe, dass man sehen konnte …
Pfeil!
Pfeil!
Pfeil!
Und Tod, mit scharfer, schimmernder Spitze, der aus weiter Entfernung heranflog, der Aufschlag des Todes, ein heftiger Schlag gegen die Brust, ein durchbohrender Schaft, fallende Flügel, nutzloses Gefieder, tiefer und tiefer und tiefer, blauer Himmel, der zu Dunkelheit verblasste, tiefer und tiefer und tiefer …
Zur Erde.
Tod.
Die Erinnerung an den Aufprall ließ seine Knochen schmerzen. Uschahin öffnete die Augen. Die lebenden Raben beobachteten ihn; sie trugen die Erinnerung ihrer gefallenen Brüder, warteten fragend. Es tut mir leid, kleine Brüder. Es war gefährlich, gefährlicher, als ich ahnte. Malthus war so klug, einen Bogenschützen mitzunehmen.
Was tat Malthus’ Truppe in den vedasianischen Sümpfen?
Uschahin starrte in den wolkenschweren Himmel, der immer wieder zwischen den Buchenblättern hervorlugte. Es war früh, zu früh, um in den Träumen der Menschen unterwegs zu sein. Er seufzte und spreizte seine verkrüppelten Hände. Dann eben heute Nacht. Wenn der Mond hoch über dem Tal von Gorgantum stand, würde Dunkelheit über den Sümpfen liegen.
Dann war es Zeit, durch ihre Träume zu wandern.
Die Tore zum Thronsaal erhoben sich dreimal höher als ein groß gewachsener Mann und waren aus gehärtetem Eisen geschmiedet. Auf ihnen war der Krieg der Schöpfer dargestellt.
Die linke Tür zeigte die Sechs: Haomane, den Höchsten von allen, Arahila, seine sanfte Schwester, Meronin, Herr der Meere, Neheris aus dem Norden, Yrinna die Fruchtreiche und Oronin, den Frohen Jäger. Haomane hielt die Hand im Zorn erhoben, und vor ihm lag die Souma – dargestellt von einem ungeschliffenen Rubin so groß wie ein Schafsherz, der dunkel in einer Einfassung aus Roheisen glühte.
Auf der rechten Seite sah man Fürst Satoris und die Drachen. Und sie waren prächtig, die Drachen, mit ihren gewundenen, schuppigen Körpern, die Köpfe geneigt, die gefächerten Flügel ausgebreitet,
die mächtigen Mäuler geöffnet, um Ströme schön gestalteter Flammen auszuspeien. In der Mitte stand der verwundete Satoris, der ein schimmerndes Bruchstück eines Rubins, das den Gottestöter darstellte, wie eine Opfergabe in beiden Händen trug.
»Heerführer!« Der wachhabende Fjel salutierte. »Der Fürst erwartet Euch.«
»Krognar. Lass uns hinein.«
Tanaros’ Herz zog sich jedes Mal zusammen, wenn sich die großen Tore öffneten und Torath dabei von Urulat getrennt wurde, wie bei der tatsächlichen Weltenspaltung. Es zog sich zusammen, dann erglühte es vor Stolz. Dahinter war sein Herr, der ihm einen Grund zum Weiterleben gegeben hatte. Der Thronsaal, ein Raum von riesiger Ausdehnung, lag nun vor ihm. An den Wänden flackerten unnatürliche Fackeln – Feuermark, der Laune des Schöpfers entsprechend gezähmt, warf zuckende Schatten über den polierten Fußboden. Ein Teppich von tiefstem Schwarz war über die ganze Länge der Halle ausgelegt, eine Schattenzunge, die sich von dem geöffneten Maul der Eisentore bis zum Sockel des Thrones reckte. Er war aus massivem Karneol, dieser Thron, und seine blutrote Farbe wurde durch das monochromatische Licht gedämpft.
Auf dem Thron saß ein Wesen, aus der Dunkelheit geschaffen, mit glühenden Augen.
»Tanaros.« Cerelindes Stimme, leise und trocken.
»Habt keine Angst.« Es gab mehr, viel mehr, das er ihr sagen wollte, aber ihm fehlten die Worte, und sein Herz brannte in ihm und verdrängte die Gedanken. Er rückte den Schattenhelm unter
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