Elementarteilchen kuessen besser
Druckmitteln sprengen, die sie gegen ihre Eltern einsetzen konnte: Ihren Intellekt und ihren einzigen körperlichen Besitz, auf den ihre Mutter schon, seit sie auf der Welt war, stolz gewesen war. Als sie am nächsten Morgen zum Frühstück an den Tisch gesessen und die entsetzten Blicke ihrer Eltern gesehen hatte, hatte sie innerlich jubiliert. Endlich hatte sie eine Reaktion bei ihnen hervorgerufen, die über höfliche Floskeln und vernünftig vorgetragene Argumente hinausging. Und das nur, weil sie ihre hüftlangen Haare selbst auf Schulterhöhe abgeschnitten hatte – und das nicht wirklich gut. An den darauf folgenden Tumult dachte sie noch heute gerne zurück.
Außerdem hatte sie ihren Eltern in einer kurzen Pause, als diese zwischen ihren Vorwürfen und Vorhaltungen keuchend Luft holen mussten, mit ruhiger Stimme angedroht, nach dem Abi eine Ausbildung als Schuhverkäuferin zu beginnen, statt Geschichte, Physik oder Anglistik zu studieren. Das hatte gezogen.
„Und ich kann mich noch ganz genau erinnern“, fuhr Linda fort, „dass ich, als ich mal krank war, aus Langeweile durch die ganzen Sender zappte, um irgendeine skandalöse Sendung zu finden, die meine Eltern nie und nimmer geduldet hätten.“ Dazu hatte ein amerikanischer Teenie-Film genauso gehört wie eine deutsche Soap. „Plötzlich war ich in einem Sender gelandet, in dem schwer bepackte Männer mit langen Schlägern einer winzigen Scheibe hinterherjagten, die man auf meinem kleinen Fernseher fast nicht erkennen konnte. Nach mehreren fantastischen Pässen, in denen die eine Mannschaft die Spieler der anderen regelrecht ausgetrickst hatte, fiel ein Tor und die ganze Arena tobte. Ich kannte Eishockey natürlich, hatte aber noch nie ein Spiel gesehen. Nach knapp zwei Dritteln war das Spiel dann zu Ende und die Tschechen hatten zwei zu eins gegen Schweden gewonnen. Und ich war infiziert. Das war meine erste Weltmeisterschaft, von der ich alle folgenden Spiele anschaute – bis zum spannenden Finale. Die Stärke der Spieler, die trotz ihrer schweren Ausrüstung ein so explosives und rasantes Spiel aufs Eis legten, hatte mich zutiefst beeindruckt.“
„Das stimmt. Eishockey ist die schnellste Mannschaftssportart. Die Geschwindigkeit fesselt mich auch immer, wenn ich mal eine Übertragung sehe. Mich beeindruckt, dass manche WM-Spiele einer Mannschaft im Abstand von weniger als vierundzwanzig Stunden stattfinden. Und das zwei Wochen lang. Spieler anderer Sportarten würden einem bei einer solchen Anforderung nur empört den Vogel zeigen.“
„Das stimmt“, bestätigte Linda. Sie kam kurz ins Stocken, als ihr ein Gedanke kam. „Bettys einziger, begeisterter Kommentar nach ihrem ersten Spiel, das sie bei mir zuhause angeschaut hatte, war: 'Im Vergleich zu Eishockeyspielern sind Fußballer nur“, Linda zögerte und errötete tief, als sie einen Ausdruck benutzen musste, der sonst gar nicht zu ihrem Sprachgebrauch gehörte, „lahmarschige Weicheier.'“
Philipp lachte laut auf. „Trotz allem ist aber den meisten Frauen Eishockey zu brutal.“
„Das kann schon sein. Ich habe es aber nie so gesehen ... Ich finde, der Sport wirkt sehr kraftvoll und männlich. Irgendwie fast schon ...“ Sie machte eine beinahe ehrfürchtige Pause, bevor sie hauchte: „... animalisch.“
„Dann brauche ich dich wohl nicht zu fragen, ob du auch Dameneishockey schaust.“ Scheinbar schmunzelte Philipp im dämmrigen Licht immer noch über Bettys Ausspruch.
Linda schüttelte vehement den Kopf. „Nein. Wenn schon, dann richtig. Bei den Damen sind Bodychecks nicht erlaubt. Und bei den Männern sind die meisten relativ harmlos. Über manche musste ich sogar herzlich lachen. Wenige brachten natürlich auch Verletzungen mit sich, die keiner gewollt hatte. Aber dennoch hat das Eishockeyspiel eine ganz eigene Ästhetik, was Pässe zuspielen, den Puck dem Gegner abjagen und Tore schießen angeht. Ganz besonders beeindruckend finde ich, wenn ein Spieler aus zwanzig Metern Entfernung einen Schlagschuss mit 170 Stundenkilometern auf das winzige Tor abgibt und der Puck im Netz landet, obwohl sich davor ein Torwart mit drei Verteidigern und zwei Angreifern aufgebaut haben.“
Philipp beobachtete fasziniert ihr leuchtendes Gesicht. Mittlerweile saß Linda neben Philipp und strahlte wie ein glückliches Glühwürmchen, während sie seine Hand fest gedrückt hielt.
„Wenn jedes Jahr die Weltmeisterschaft übertragen wird, versuche ich so viele Spiele wie möglich live zu
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