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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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übernommen - als Leiter der Marketingabteilung für Nordamerika; sie sahen ihn ziemlich selten. Er war geschieden, hatte keine Kinder. Zwei unterschiedliche Schicksale also, aber beide etwa gleichermaßen symptomatisch.
        »Mein Leben ist nicht sehr glücklich verlaufen«, sagte Annabelle. »Ich glaube, ich habe der Liebe eine viel zu hohe Bedeutung beigemessen. Ich habe mich zu leicht den Männern hingegeben; sobald sie erreicht hatten, was sie wollten, haben sie mich fallengelassen, und ich habe sehr darunter gelitten. Die Männer gehen nicht mit einer Frau ins Bett, weil sie verliebt sind, sondern weil sie sexuell erregt sind; es hat Jahre gedauert, ehe ich diese banale Tatsache begriffen habe. Alle Leute um mich herum haben so gelebt, es war ein sehr freizügiges Milieu; aber diesem aufreizenden, verführerischen Gehabe habe ich nie etwas abgewinnen können. Selbst Sex hat mich schließlich angewidert; ich konnte das triumphierende Lächeln der Männer nicht mehr ertragen, wenn ich mein Kleid auszog, ihren bescheuerten Gesichtsausdruck, wenn sie einen Orgasmus hatten, und vor allem ihre Rüpelhaftigkeit, wenn der Akt vorbei war. Sie waren erbärmlich, schwach und eingebildet. Irgendwann hat man genug davon, als austauschbares Stück Vieh betrachtet zu werden - auch wenn ich als Prachtexemplar angesehen wurde, weil ich ihre ästhetischen Anforderungen tadellos erfüllte und sie stolz waren, mich ins Restaurant ausführen zu können. Nur einmal habe ich geglaubt, die Sache sei ernst, und bin mit einem Mann zusammengezogen. Er war Schauspieler und sah irgendwie sehr interessant aus, aber ihm ist nie der Durchbruch gelungen - und die Rechnungen für die Wohnung, die habe ich meistens bezahlt. Wir haben zwei Jahre zusammengelebt, dann wurde ich schwanger. Er hat mich gebeten, abzutreiben. Ich habe es getan, aber als ich aus dem Krankenhaus zurückkam, wußte ich, daß es vorbei war. Ich habe ihn noch am selben Abend verlassen und eine Weile im Hotel gewohnt. Ich war dreißig, es war meine zweite Abtreibung, und ich hatte die Nase gestrichen voll. Das war 1988, damals fingen die Leute an, sich der Gefahr von Aids bewußt zu werden, ich habe das wie eine Erlösung empfunden. Ich hatte mit Dutzenden von Männern geschlafen, und keiner von ihnen verdient es, daß man sich an ihn erinnert. Heute sind wir der Ansicht, daß es eine Zeit im Leben gibt, in der man ausgeht und sich amüsiert; und anschließend taucht das Bild des Todes vor uns auf. Alle Männer, die ich kennengelernt habe, hatten furchtbare Angst vorm Altern, sie dachten ständig an ihr Alter. Die Zwangsvorstellung vom Alter fängt schon sehr früh an - ich habe es schon bei Fünfundzwanzigjährigen festgestellt - und anschließend wird es immer schlimmer. Ich habe beschlossen, mit der Sache aufzuhören und auszusteigen. Ich führe jetzt ein ruhiges Leben, ohne große Freuden. Abends lese ich, trinke Kräutertees oder andere warme Getränke. An jedem Wochenende fahre ich zu meinen Eltern und kümmere mich viel um meinen Neffen und meine Nichten. Manchmal hätte ich einen Mann nötig, das stimmt, ich habe nachts Angst und Schwierigkeiten, einzuschlafen. Es gibt zwar Beruhigungsmittel und Schlaftabletten; aber das reicht nicht aus. In Wirklichkeit wäre es mir am liebsten, wenn das Leben sehr schnell vorübergehen würde.«
        Michel blieb stumm; er war nicht überrascht. Die meisten Frauen verleben eine aufregende Jugend, sie interessieren sich sehr für Jungen und für Sex; und nach und nach werden sie es leid, haben keine große Lust mehr, die Schenkel zu spreizen, sich auf den Rücken zu legen, um ihre Muschi hinzuhalten; sie suchen eine zärtliche Beziehung, die sie nicht finden, eine Leidenschaft, zu der sie kaum noch fähig sind; und dann beginnen für sie die schwierigen Jahre.

    265
        Als die Bettcouch ausgezogen war, nahm sie fast den ganzen freien Raum ein. »Es ist das erstemal, daß ich sie benutze«, sagte sie. Sie legten sich nebeneinander und umarmten sich.
        »Ich nehme schon seit langem keine Verhütungsmittel mehr und habe keine Kondome im Haus. Hast du welche dabei?«
        »Nein ...« Er lächelte bei diesem Gedanken.
        »Möchtest du, daß ich ihn in den Mund nehme?«
        Er dachte einen Augenblick nach und sagte schließlich: »Ja.« Es war angenehm, aber er empfand keine große Lust (im Grunde hatte er nie sehr große Lust empfunden; die sexuelle Lust, die bei manchen Menschen sehr stark ist, ist

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