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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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bei anderen begrenzt, ja unbedeutend; ist das eine Frage der Erziehung, der Neuronenketten oder was?). Diese Fellatio war vor allem ergreifend: Sie war das Symbol ihres Wiedersehens, ihres unterbrochenen Schicksals. Doch es war wunderschön, Annabelle anschließend in den Arm zu nehmen, als sie sich auf die Seite drehte, um zu schlafen. Ihr Körper war geschmeidig und sanft, warm und unglaublich glatt; sie hatte eine sehr schmale Taille, breite Hüften und kleine, feste Brüste. Er schob sein Knie zwischen ihre Beine, legte eine Hand auf ihren Bauch und die andere auf ihre Brüste; diese Sanftheit, diese Wärme versetzte ihn an den Beginn der Welt. Er schlief fast augenblicklich ein.
        Zunächst sah er einen Mann, ein vom Raum bekleidetes Segment; nur sein Gesicht war unverhüllt. Mitten im Gesicht leuchteten die Augen; ihr Ausdruck war schwer zu entziffern. Ihm gegenüber befand sich ein Spiegel. Beim ersten Blick in den Spiegel hatte der Mann das Gefühl, ins Leere zu fallen. Aber er hatte sich niedergelassen, sich hingesetzt; er hatte sein Spiegelbild als etwas Losgelöstes betrachtet, wie eine von ihm unabhängige geistige Erscheinung, die sich anderen vermitteln ließ; nach einer Minute ließ ihn der Anblick ziemlich gleichgültig. Aber sobald er nur ein paar Sekunden den Kopf abwandte, mußte alles neu begonnen werden; wie bei der Akkommodation des Auges an einen Gegenstand in großer Nähe, mußte er wieder mühsam das Gefühl der Identifikation mit seinem eigenen Bild zerstören. Das Ich ist eine unregelmäßig auftretende Neurose, und der Mensch war noch weit davon entfernt, geheilt zu sein.
        Anschließend sah er eine weiße Wand, in derem Inneren sich Buchstaben bildeten. Nach und nach verdickten sich diese Buchstaben und formten auf der Wand ein sich bewegendes Flachrelief, das von einer widerlichen Pulsierung belebt war. Zunächst erschien das Wort »FRIEDEN«, dann das Wort »KRIEG«, schließlich wieder das Wort »FRIEDEN«. Dann hörte das Phänomen mit einem Schlag auf; die Oberfläche der Mauer wurde wieder glatt. Die Luft verflüssigte sich, wurde von einer Welle durchlaufen; die Sonne war riesig und gelb. Er sah die Stelle, an der sich die Wurzel der Zeit bildete. Diese Wurzel entsandte Fortsätze durch die Welt, Ranken, die in der Nähe des Zentrums knotig, an ihren Enden klebrig und frisch waren. Diese Ranken umschlangen, fesselten und klebten die Segmente des Raums zusammen.
        Er sah das Gehirn des toten Mannes, Segment des Raums, das den Raum enthielt.
        Als letztes sah er das geistige Aggregat des Raums und dessen Gegenteil. Er sah den geistigen Konflikt, der den Raum strukturierte, und sein Verschwinden. Er sah den Raum wie eine ganz dünne Linie, die zwei Sphären durchtrennte. In der ersten Sphäre befand sich das Sein und die Trennung; in der zweiten Sphäre das Nichtsein und das individuelle Verschwinden. Ruhig, ohne zu zögern, wandte er sich um und bewegte sich auf die zweite Sphäre zu.

    Er schob die Bettdecke zur Seite und richtete sich auf. Annabelle atmete regelmäßig neben ihm. Sie hatte einen würfelförmigen Sony-Wecker, der 03:37 anzeigte. Konnte er wieder einschlafen? Er mußte wieder einschlafen. Er hatte XanaxTabletten mitgebracht.
    Am nächsten Morgen kochte sie ihm einen Kaffee; sie selbst trank Tee und aß Toastbrot. Der Tag war schön, aber schon ein wenig kühl. Sie betrachtete seinen nackten Körper, der noch immer sehr schlank war und seltsam jugendlich wirkte. Sie waren vierzig, und das war kaum zu glauben. Und dennoch konnte sie keine Kinder mehr bekommen, ohne das nicht unerhebliche Risiko einer genetischen Mißbildung einzugehen; seine Potenz hatte bereits weitgehend nachgelassen. Im Hinblick auf die Interessen der Gattung waren sie zwei alternde Individuen von mäßigem genetischen Wert. Sie hatte ein bewegtes Leben hinter sich; hatte Kokain genommen, an Sexparties teilgenommen, in Luxushotels geschlafen. Da sie aufgrund ihrer Schönheit in das Zentrum der Bewegung für die sexuelle Befreiung geraten war, die ihre ganze Jugend bestimmt hatte, hatte sie besonders darunter gelitten - und sollte letztlich ihr Leben dafür lassen. Er dagegen, der aus Gleichgültigkeit nur am Rand dieser Bewegung, wie auch des menschlichen Lebens oder überhaupt von allem, gestanden hatte, war nur oberflächlich davon betroffen worden; er hatte sich damit begnügt, ein treuer Kunde des Monoprix seines Viertels zu sein und die Forschungsarbeiten in der

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