Elementarteilchen
CheyenneHäuptlings, der auf der Suche nach den Sternen war, gingen folg- lich über den etwas begrenzten Rahmen des Abenteuerberichts hinaus und waren von einer rein poetischen und moralischen Atmosphäre durchdrungen.
Das Fernsehen interessierte ihn weniger. Er verfolgte jedoch mit klopfendem Herzen die wöchentliche Sendung Das Leben der Tiere. Die Gazellen und die Damhirsche, anmutige Säugetiere, verbrachten ihre Tage in Angst und Schrecken. Die Löwen und die Panther lebten in einem Zustand stumpfsinniger Lethargie, der durch momentane Ausbrüche von Grausamkeit unterbrochen wurde. Sie töteten, zerfleischten und verschlangen die schwächsten Tiere, die alt oder krank waren; dann verfielen sie wieder in einen Dämmerzustand, der nur durch die Angriffe der Parasiten belebt wurde, die sie von innen verschlangen. Manche Parasiten wurden selbst von noch kleineren Parasiten angegriffen; und letztere waren ihrerseits ein fruchtbarer Nährboden für die Viren. Die Echsen und Schlangen glitten zwischen den Bäumen hindurch und bohrten ihre Giftzähne in Vögel und Säugetiere; es sei denn, sie wurden plötzlich vom Schnabel eines Raubvogels zerstückelt. Claude Dargets dümmliche, theatralische Stimme kommentierte diese furchtbaren Bilder mit einem Ausdruck nicht zu rechtfertigender Bewunderung. Michel bebte vor Empörung und spürte auch dabei, wie in ihm eine unerschütterliche Überzeugung heranreifte: im ganzen gesehen war die ungezähmte Natur nichts anderes als eine ekelhafte Schweinerei; im ganzen gesehen rechtfertigte die ungezähmte Natur eine totale Zerstörung, einen universellen Holocaust - und die Aufgabe des Menschen auf der Erde bestand vermutlich darin, diesen Holocaust durchzuführen.
Im April 1970 erschien P if mit einer Gratisbeilage, die berühmt bleiben sollte: Pulver des Lebens. J edes Heft enthielt ein Tütchen mit den Eiern eines winzigen Salzwasserkrebstieres, der Arternia salina. Se it mehreren tausend Jahren führten diese Organismen ein Dasein, das dem Scheintod glich. Die Prozedur, um sie zum Leben zu erwecken, war ziemlich kompliziert: Man mußte etwas Wasser drei Tage lang stehen lassen, es erwärmen, den Inhalt des Tütchens hinzugeben und leicht schütteln. An den folgenden Tagen mußte man das Gefäß in der Nähe einer Licht- und Wärmequelle aufbewahren; regelmäßig Wasser mit der richtigen Temperatur nachfüllen, um die Verdunstung auszugleichen; die Mischung vorsichtig umrühren, um sie mit Sauerstoff anzureichern. Ein paar Wochen später wimmelte das Glas von unzähligen, fast durchsichtigen kleinen Krebsen, die ehrlich gesagt etwas ekelhaft waren. Da Michel nicht wußte, was er damit anfangen sollte, schüttete er das Ganze schließlich in den Grand Morin.
Im selben Heft enthüllte der zwanzigseitige, abgeschlossene Abenteuerbericht Einzelheiten über Rahans Jugend und die Umstände, die ihn in die Situation des einsamen Helden inmitten vorgeschichtlicher Zeiten gebracht hatten. Als er noch ein Kind war, war seine Sippe durch einen Vulkanausbruch dezimiert worden. Sein Vater, Craô der Weise, hatte ihm, kurz bevor er starb, nur noch ein Halsband mit drei Krallen hinterlassen können. Jede dieser Krallen stellte eine Tugend »derer, die aufrecht gehen« dar, der Menschen. Es gab die Kralle der Ehrenhaftigkeit und die Kralle des Muts; und die wichtigste von allen, die Kralle der Güte. Seit jenem Tag trug Rahan dieses Halsband und versuchte, sich dessen, was es darstellte, würdig zu zeigen.
Das Haus in Crécy hatte einen schmalen, langen Garten mit einem Kirschbaum, der nicht ganz so groß war wie der im Garten im Departement Yonne. Er las immer noch Das ganze Uni versum und Hundert Fragen zu. Zu seinem zwölften Geburtstag schenkte ihm seine Großmutter den Experimentierkasten Der kleine Chemiker. Die Chemie war viel spannender als die Mechanik oder die Elektrizitätslehre; sie war rätselhafter, vielseitiger. Die Chemikalien, die in kleine Dosen abgefüllt waren, hatten unterschiedliche Farben, Formen und Texturen, wie Essenzen, die für immer getrennt waren. Und dennoch brauchte man sie nur zusammenzubringen, und schon reagierten sie heftig, gingen blitzschnell völlig neue Verbindungen ein.
Als Michel an einem Nachmittag im Juli im Garten las, wurde ihm plötzlich klar, daß die chemischen Grundlagen des Lebens ganz anders hätten sein können. Die Rolle, die Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff in den Molekülen der Lebewesen spielten, hätte
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