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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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mit dem Diktator aus, der im Morgengrauen über die Schlachtfelder spazierte, Tausende von verstümmelten oder aufgeschlitzten Leichen betrachtete und nachlässig bemerkte: >Pah ... eine Pariser Nacht bevölkert das alles wieder.<
        Im Laufe der Monate ließen sich David und einige andere Teilnehmer zu immer grausameren, grauenhafteren Handlungen hinreißen. Manchmal filmten sie die Szenen ihres Gemetzels, nachdem sie sich das Gesicht maskiert hatten; einer der Teilnehmer war Produzent in der Video -Branche und hatte Zugang zu einem Videokopierer. Aus einem guten snuff movie konnte man viel Geld herausschlagen, rund zwanzigtausend Dollar für eine Kopie. Als David eines Abends zu einer Sexparty bei einem befreundeten Rechtsanwalt eingeladen war, erkannte er einen seiner Filme wieder, der in einem der Schlafzimmer auf dem Videobildschirrn gezeigt wurde. Auf dieser Kassette, die einen Monat zuvor gedreht worden war, trennte er mit einer Motorsäge ein männliches Geschlechtsteil ab. Sehr erregt hatte er ein etwa zwölfähriges Mädchen an sich gezogen, eine Freundin von der Tochter des Hausbesitzers, und hatte sie vor seinen Sitz geschoben. Erst hatte sich die Kleine etwas gewehrt, aber dann hatte sie begonnen, ihn zu lecken. Auf dem Bildschirm näherte er sich mit der Motorsäge einem etwa vierzigjährigen Mann und streifte langsam dessen Schenkel; der Mann war mit verschränkten Armen am ganzen Körper gefesselt und schrie vor Entsetzen. David kam im Mund des Mädchens, als die Sägekette das Geschlechtsteil abtrennte; er packte das Mädchen an den Haaren, drehte ihr brutal den Kopf um und zwang sie, die lange Großaufnahme des Stumpfes zu betrachten, aus dem das Blut hervorspritzte.

    Soweit die Zeugenaussagen über David. Die Polizei hatte durch Zufall das Masterband eines Foltervideos abgefangen, aber David war vermutlich gewarnt worden und hatte es auf jeden Fall geschafft, rechtzeitig das Weite zu suchen. Dann kam Daniel Macmillan zu seiner These. Aus seinem Buch ging klar hervor, daß die angeblichen Satanisten weder an Gott, noch an den Teufel, noch an irgendeine außerirdische Macht glaubten; die Gotteslästerung diente in ihren Zeremonien übrigens nur als unbedeutende erotische Würze, an der die meisten bald den Geschmack verloren. Sie waren in Wirklichkeit, genau wie ihr Meister, der Marquis de Sade, absolute Materialisten, Genußmenschen auf der Suche nach immer stärkerem Nervenkitzel. Daniel Macmillan zufolge war die allmähliche Zerstörung der moralischen Werte im Verlauf der 60er, 70er, 8oer und schließlich der 90er Jahre ein durchaus logischer, unabwendbarer Prozeß. Nachdem sie die Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung aus- geschöpft hatten, war es völlig normal, daß die Individuen, die sich von den üblichen moralischen Zwängen befreit hatten, sich der umfassenderen Befriedigung grausamer Instinkte zuwandten; zweihundert Jahre zuvor hatte de Sade einen ähnlichen Weg beschritten. In dieser Hinsicht waren die serial killers der 90er Jahre die Nachfahren der Hippies der 60er Jahre; man konnte ihre gemeinsamen Vorfahren in den Wiener Aktionisten der 50er Jahre sehen. Unter dem Deckmantel eines Happenings hatten die Wiener Aktionisten Nitsch, Muehl oder Schwarzkogler öffentlich Tiermassaker vollzogen; vor einer Schar debiler Zuschauer hatten sie den Tieren die Organe und Eingeweide ausgerissen und zerstückelt und die Hände in Fleisch und Blut getaucht und das Leiden der unschuldigen Tiere auf den Höhepunkt getrieben - und währenddessen fotografierte oder filmte ein Komparse das Gemetzel, um die so erhaltenen Dokumente in einer Kunstgalerie auszustellen. Diesen dionysischen Willen, das Tierische und das Böse im Menschen freizusetzen, der von den Wiener Aktionisten initiiert wurde, traf man in den folgenden Jahrzehnten immer wieder an. Daniel Macmillan zufolge war diese nach 1945 in den westlichen Gesellschaften eingetretene Wende nichts anderes als eine Rückkehr zum brutalen Machtkult und zugleich eine Ablehnung der durch die Jahrhunderte hindurch im Namen der Moral und des Rechts entwickelten Regeln. Den Wiener Aktionisten, den Beatniks, den Hippies und den Serienkillern war gemein, daß sie zutiefst libertäre Hedonisten waren und die Rechte des Individuums gegenüber allen sozialen Normen und Heucheleien, die ihnen zufolge Moral, Gefühl, Gerechtigkeit und Mitleid darstellten, in letzter Konsequenz propagierten und für sich in Anspruch nahmen. In dieser Hinsicht war Charles

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