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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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keinen Urlaub mehr.« »Ich auch nicht, Dienstag fängt die Schule wieder an; aber ich brauche noch Ferien. Ich habe die Nase voll vom Unterrichten, die Kinder sind völlig bescheuert. Du brauchst auch noch Ferien, und vor allem brauchst du eins: Du mußt vögeln, mit allen möglichen Frauen vögeln. Das ist möglich. Ich weiß, daß du nicht daran glaubst, aber ich schwöre dir: Das ist möglich. Ein Freund von mir ist Arzt, der stellt uns ein Attest aus.«

    Sie trafen am Montagmorgen auf dem Bahnhof von Agde ein und fuhren mit dem Taxi zur Nudistenkolonie. Christiane hatte nur ganz wenig Gepäck dabei, sie hatte keine Zeit gehabt, nach Noyon zurückzukehren. »Ich muß unbedingt meinem Sohn etwas Geld schicken«, sagte sie. »Er verachtet mich, aber ich bin gezwungen, ihn noch ein paar Jahre zu ertragen. Ich habe nur Angst, daß er gewalttätig wird. Er verkehrt mit ziemlich schrägen Typen, Moslems, Neonazis ... Es würde mir sehr weh tun, wenn er sich mit dem Motorrad totfährt, aber ich glaube, das wäre für mich eine Befreiung.«
    Es war bereits September, daher fanden sie leicht eine Unterkunft. Die Kolonie am Cap d'Agde, die in fünf, in den 70er und Anfang der 8oer Jahre errichteten Wohnkomplexe unterteilt ist, verfügt insgesamt über eine Kapazität von zehntausend Betten, was einen Weltrekord darstellt. Ihr Appartement besaß eine Wohnfläche von 22 m² und bestand aus einem kombinierten Wohn- und Schlafzimmer mit einer Bettcouch, einer kleinen Einbauküche, zwei Etagenbetten, einem Bad, einem separaten W. C. und einer Terrasse. Es war für maximal vier Personen eingerichtet - meistens eine Familie mit zwei Kindern. Sie fühlten sich dort gleich sehr wohl. Auf der nach Westen gelegenen Terrasse mit Blick auf den Segelhafen konnte man den Aperitif einnehmen und dabei die letzten Strahlen der untergehenden Sonne genießen.
    Auch wenn das FKK-Gelände am Cap d'Agde drei Einkaufszentren, eine Minigolfanlage und einen Fahrradverleih besitzt, besteht die Hauptattraktion, die es seinen Sommergästen zu bieten hat, in den ursprünglichen Freuden von Strand und Sex. Letztlich ist es ein Ort mit einem spezifischen soziokulturellen Angebot, das vor allem deshalb erstaunlich ist, weil sein Bezugsrahmen nicht in irgendeinem Vorschriftenkatalog festgelegt zu sein scheint, sondern nur auf der Grundlage konvergierender individueller Initiativen beruht. Mit diesen Worten begann Bruno jedenfalls einen Artikel mit dem Titel »DIE DÜNEN AM STRAND VON MARSEILLAN: FÜR EINE ÄSTHETIK DES GUTEN WILLENS«, in dem er eine synthetische Darstellung seiner beiden Ferienwochen lieferte. Dieser Artikel sollte von der Redaktion der Zeitschrift Esprit mit knapper Mehrheit abgelehnt werden.
        »Als erstes überrascht einen am Cap d'Agde die Koexistenz von herkömmlichen Konsumeinrichtungen, die sich durch nichts von jenen in allen übrigen europäischen Badeorten unterscheiden, und anders gearteten Geschäftsbranchen, die eindeutig auf Sex und libidinösen Kommerz abzielen. So ist es zum Beispiel erstaunlich, daß man direkt nebeneinander eine Bäckerei, einen kleinen Supermarkt und ein Bekleidungsgeschäft antrifft, in dem vor allem durchsichtige, superkurze Miniröcke, Latexunterwäsche und Kleider, die Brüste und Pobacken unbedeckt lassen, angeboten werden. Es ist ebenfalls erstaunlich, daß man Frauen und Paare - in Begleitung von Kindern oder auch nicht - sieht, die in den verschiedenen Abteilungen auf Schnäppchenjagd gehen und ungeniert zwischen diesen sehr unterschiedlichen Geschäften hin und her gehen. Und schließlich wundert man sich darüber, daß die am Ort befindlichen Zeitschriftenläden außer dem üblichen Angebot an Tageszeitungen und Zeitschriften eine ungemein reiche Auswahl an Zeitschriften für Partnertausch und pornographischen Heften besitzen sowie diverse erotische Gimmicks verkaufen, und all das, ohne bei irgendeinem der Verbraucher die geringste Empörung hervorzurufen.
        Die traditionellen Ferienzentren lassen sich üblicherweise auf einer Längsachse ansiedeln, die vom familiären Typ (mit Mini Club, Kid's Club, Flaschenwärmern und Wickeltischen) zum jugendgerechten Typ reicht (Wassersport, bunte Abende für Nachtschwärmer, für Kinder unter zwölf nicht zu empfehlen). Die Nudistenkolonie am Cap d'Agde fällt durch den hohen Anteil an Familien unter seinen Gästen und durch die Bedeutung, die die sexuellen, aus dem üblichen Kontext der >Anmache< losgelösten Freizeitbeschäftigungen dort

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