Elena - Ein Leben für Pferde
nicht mehr ärgerte. »Aber urplötzlich wollen die Teicherts ein neues Pferd für Ariane kaufen und das war’s dann für mich.«
»So was kenne ich.« Tim nickte. »Mein Vater hat letztes Jahr eine Woche vor der Hessenmeisterschaft das Pferd verkauft, mit dem ich im Kader war. Geschäft ist eben Geschäft.«
Genau das hatte Papa eben auch gesagt.
»Und was hast du gemacht?«, fragte ich.
Tim wandte sich mir zu und lächelte. Seine Zähne blitzten weiß im dämmrigen Licht.
»Ich hab ein anderes Pferd geritten«, antwortete er. »Und bin trotzdem Hessenmeister bei den Junioren geworden.«
Auf einmal fiel mir siedend heiß ein, dass ich allmählich satteln gehen musste. Ich sprang auf.
»Bleibst du noch hier?«, wagte ich Tim zu fragen.
»Klar, ich will dich doch reiten sehen.« Er zwinkerte mir zu. »Aber lass mich nicht so lange allein, mitten im Lager des Feindes.«
Ich lächelte zittrig und beeilte mich, in den Stall zu kommen.
Melike hatte Sirius schon aus der Box geholt und auf der Stallgasse angebunden. Das Fell des Ponys war makellos schneeweiß, seine Mähne perfekt eingeflochten.
»Ich dachte schon, du wärst ins Klo gefallen«, sagte ich.
»Ich hab Christian ein bisschen im Auge behalten«, erwiderte Melike. »Muss ja nicht sein, dass er Tim über den Weg läuft.«
Meine Freundin hatte mich also nicht im Stich gelassen, ganz im Gegenteil.
»Wo ist Tim jetzt?«, fragte sie.
»In der Halle.« Ich hatte Mühe, meinem Pony die Trense anzulegen, so sehr zitterten meine Hände vor Aufregung. »Ist es nicht irre, dass er hier ist?«
»Er mag dich«, behauptete Melike, nahm mir die Trense aus der Hand und trenste Sirius auf.
»Meinst du wirklich?«, fragte ich zweifelnd. Noch nie hatte sich ein Junge für mich interessiert. »Ich bin doch voll hässlich mit dieser blöden Zahnspange und meiner Pickelfratze.«
»Du spinnst. Wann hattest du denn das letzte Mal einen Pickel?«, entgegnete Melike. »Und sag mir, warum Tim sonst extra hierhergekommen ist. Oder glaubst du, er hat gehofft, sich hier bei irgendwem was abgucken zu können?«
»Nein. Das sicher nicht«, gab ich zu und fuhr mir verstohlen mit den Fingern über das Gesicht. Melike hatte recht, ich hatte seit Wochen keinen neuen Pickel mehr gehabt. Ich stieß einen glücklichen Seufzer aus, dann machte ich einen Luftsprung. Sirius wich erschrocken zur Seite.
»Du hast’s gut.« Melike verzog traurig das Gesicht. »Christian würde so was für mich nie und nimmer tun.«
»Wo treibt er sich eigentlich rum?«
»Er weicht Ariane nicht von der Seite und lacht über jedes dämliche Wort, das sie von sich gibt«, erwiderte Melike bekümmert. »Ich bin für ihn nur eine praktische Pferdepflegerin. Mehr nicht.«
»Sei froh. Mein Bruder ist ein Idiot.« Ich legte Sirius den Sattel auf den Rücken und schnallte den Gurt fest. »Was findet der wohl plötzlich an Ariane?«
»Keine Ahnung. Auf jeden Fall wird er Tim nicht entdecken, wenn er sie weiterhin so anglotzt.« Melike zuckte resigniert mit den Schultern und folgte Sirius und mir hinaus in Richtung kleine Halle.
Ich musste mir den Parcours für das A-Springen nicht mehr ansehen, denn es war derselbe wie im E-Springen, nur waren die Hindernisse erhöht worden. Auch wenn es mir für Melike leidtat, so musste ich mir wenigstens um Tim keine Gedanken machen. Papa würde ihn in dem Tumult wahrscheinlich nicht mal erkennen, wenn er direkt vor ihm stünde.
In der kleinen Abreitehalle herrschte ein heilloses Chaos. Für fünf oder sechs Reiter war genügend Platz, aber offensichtlich versuchten alle 21 Teilnehmer des A-Springens gleichzeitig abzureiten. Bei den unerfahrenen Reitern lagen die Nerven blank, sie schrien sich gegenseitig an und preschten in halsbrecherischem Tempo gegen die beiden Probesprünge. Corinna Faist stürzte sogar vom Pferd, als ihre Stute vor dem Oxer plötzlich verweigerte.
»Großer Gott«, murmelte ich, »das ist ja lebensgefährlich!«
Es gelang mir mit einigem Glück, mit Sirius zu traben und zu galoppieren, ohne über den Haufen geritten zu werden. Kurz bevor ich an der Reihe war, machte ich noch zwei Sprünge, das musste reichen. Auf dem Weg hinüber in die Reithalle knöpfte ich mein Jackett zu und gab Melike meine Jacke.
Ulrike Meinhardt kam uns mit ihrer braunen Stute Mirage entgegen und machte ein langes Gesicht.
»Wie war’s bei dir?«, erkundigte ich mich, obwohl ich mir die Frage hätte sparen können.
»Ausgeschieden.« Ulrike zog eine Grimasse. »Ich
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