Elena - Ein Leben für Pferde
die richtigen Turniere. Aber die Einsteller und die Schulreiter freuen sich jedes Jahr auf dieses Turnier. Hast du noch Lust, das L-Springen anzuschauen?«
»Kommt drauf an, was es für Alternativen gibt.«
»Ich wollte dir mein Pferd zeigen.«
»Sirius?«
»Nein.« Ich zog den Reißverschluss meiner Daunenjacke bis unters Kinn. »Ich habe noch ein Pferd.«
»Klingt gut.« Tim nickte. »Gehen wir. Aber vielleicht nicht gerade an deinen Eltern vorbei.«
»Sicher nicht.« Ich bedeutete ihm, mir zu folgen, und öffnete die Seitentür der Reithalle.
Draußen wehte ein beißend kalter Wind und es war mittlerweile stockdunkel geworden.
»Dein Bruder lässt sich auch keine Schleife entgehen, was?« Tim lachte leise, als er neben mir herging.
»Der!« Ich winkte ab und musste kichern. »Auf jeden Fall ist er jetzt Vereinsmeister im A-Springen und sein Name kommt auf die Meisterschaftstafel in der Gaststätte. Dafür wird er sich später noch schämen.«
Wir erreichten ungesehen die Scheune. Ich schob das Tor zur Seite und tastete nach dem Lichtschalter. Der Geruch von duftendem Heu strömte uns entgegen. Die Neonröhren waren verstaubt und voller Spinnweben und verbreiteten nur noch schummriges Licht.
»Fritzi!«, rief ich mit halblauter Stimme.
Der junge Hengst, der sich schon hingelegt hatte, sprang auf und wieherte erfreut. Er streckte neugierig seinen Kopf über die halbhohe Boxenwand.
»Ich wusste gar nicht, dass du noch ein Pferd hast außer Sirius«, sagte Tim ganz so, als ob er sonst alles über mich wüsste.
Ich öffnete die Boxentür und Fritzi fuhr mir mit seiner weichen Nase übers Gesicht. Natürlich hatte ich ein Zuckerstück für ihn in der Tasche.
Tim musterte mein Pferd mit Kennerblick. »Das ist aber ein hübscher Kerl«, stellte er fest. »Ein Hengst?«
»Ja. Er ist vier Jahre alt und wurde an meinem Geburtstag geboren, deshalb hat Papa ihn mir damals geschenkt. Als Jährling hatte er einen schlimmen Unfall. Papa wollte ihn schlachten lassen, weil die Tierärzte meinten, er wäre als Springpferd nie mehr zu gebrauchen. Aber er gehörte ja mir, deshalb konnte Papa das nicht einfach machen. Ich hab ihn gepflegt und reite ihn seit einem Jahr.«
»Und die Verletzungen?«
»Bis jetzt ist nichts davon zu merken. Er läuft einwandfrei.«
»Schicker Typ«, sagte Tim, ganz Sohn eines Pferdehändlers. »Wie ist seine Abstammung?«
»Sein Vater ist For Pleasure und seine Mutter stammt von Grannus ab«, erwiderte ich stolz.
Tim stieß einen beeindruckten Pfiff aus. »Allein seine Abstammung ist es wert, dass man ihn behält«, sagte er.
»Mir ist seine Abstammung ganz egal.« Ich streichelte das Gesicht des jungen Hengstes.
Mittlerweile hatte sich mein Puls fast normalisiert und ich konnte Tim sogar hin und wieder anschauen, ohne gleich das Atmen zu vergessen.
»Fritzi ist ein tolles Pferd mit einem super Charakter. Ich reite ihn total gern, allerdings nur heimlich, damit Papa ihn nicht sieht und vielleicht doch noch verkauft. Gerade jetzt, wo er jeden Cent braucht.«
»Wie meinst du das?«
Ich wusste nicht, ob ich Tim von der schlimmen finanziellen Lage auf dem Amselhof erzählen sollte. Aber es war eigentlich kein Geheimnis, früher oder später würde es sowieso jeder erfahren. In der Reiterwelt war es unmöglich, Geheimnisse zu bewahren.
»Bei uns wird nur noch über Geld geredet«, sagte ich schließlich. »Aber leider nur über Geld, das nicht da ist.«
»Jeder hat Schulden«, entgegnete Tim. »Das ist doch nicht so tragisch.«
»Sechshunderttausend Euro sind aber tragisch.«
»Was? Sechshunderttausend?« Tim riss die Augen auf. »Wie kommt das denn?«
Ich schloss die Boxentür und setzte mich auf einen Strohballen.
»Das fragen sich meine Eltern auch«, sagte ich niedergeschlagen. »Mein Opa hat die Schulden gemacht und plötzlich wollte die Bank den Amselhof zwangsversteigern lassen. Papa musste alles übernehmen, sonst wäre der Hof futsch gewesen. Und jetzt muss er zusehen, wie er die Schulden abbezahlt.«
Auf einmal fiel mir ein, wem ich das alles erzählte. Auch wenn Tim ein feiner Kerl sein mochte, so hieß er doch mit Nachnamen Jungblut, und dieser Name bedeutete für mich seit Kindesbeinen nichts Gutes.
»Du sagst doch niemandem etwas davon, oder?«, fragte ich besorgt.
»Meinst du etwa, ich bin hergekommen, um dich auszuhorchen?« Tim war gekränkt.
»Tut mir leid.« Ich schluckte. »Es … es war nicht so gemeint, aber … du weißt ja …«
»Schon gut.« Er
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