Elena - Ein Leben für Pferde
mögen, denn ich wusste nie, wie er reagieren würde.
»Was hältst du davon, wenn wir beide jetzt noch schnell füttern und einstreuen?«, schlug er vor. »Und dann frühstücken wir in aller Ruhe.«
»Ja, das klingt gut«, antwortete ich. »Mir wird nämlich langsam kalt.«
Papa und ich waren ein gutes Team. Er schob den Futterwagen und ich schüttete den Pferden Kraftfutter und Hafer in die Tröge, dabei redeten wir über dies und das. Genauso teilten wir uns später die Arbeit beim Einstreuen der Boxen. Um acht Uhr waren alle Pferde versorgt, die Stallgassen blitzblank gefegt. Der Morgen dämmerte herauf, als wir hinüber zum Haus gingen.
»Ich hoffe, du bist nicht mehr sauer auf mich, dass ich Phönix an Teicherts verkauft habe«, murmelte Papa zu meiner Überraschung.
Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht mehr daran gedacht, schließlich hatte ich Fritzi, aber das wollte und konnte ich ihm unmöglich erzählen.
»Nee, bin ich nicht«, antwortete ich. »Phönix war mir eh ein bisschen zu langweilig.«
»Zu langweilig?« Papa schüttelte belustigt den Kopf.
»Na ja, für Ariane passt er schon. Aber ich mag es lieber, wenn ein Pferd etwas mehr Pep hat.«
»So, so.« Er blieb stehen und sah mich schmunzelnd an. »Und welches Pferd würde dir dann gefallen? Du willst doch den Lehrgang mitreiten, oder?«
Morgen begann der fünftägige Weihnachtslehrgang, den Papa jedes Jahr gab und der mit dem Silvesterspringen endete. Seit Wochen war der Lehrgang ausgebucht, aus der ganzen Umgebung hatten sich Reiterinnen und Reiter angemeldet und es gab sogar eine Warteliste.
»Echt? Ich darf den Lehrgang mitreiten?«, fragte ich ungläubig.
»Es ist ein Weihnachtsgeschenk. Natürlich nur, wenn du Lust dazu hast.« Papa ging weiter, drehte sich dann aber wieder zu mir um, die Hände in den Taschen seiner Jacke. »Was hältst du von Calvador?«
Er sagte das so beiläufig, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, dass er mir eines seiner besten Turnierpferde anbot. Mir blieb der Mund offen stehen.
»Ich soll Calvador reiten?«, flüsterte ich fassungslos.
»Ja, warum nicht? Er ist nicht ganz so brav wie Phönix, aber auf ihm kannst du sicher eine Menge lernen.«
Wie ich es mir schon gedacht hatte, platzte mein Bruder fast vor Neid, als er die Neuigkeit hörte. Calvador, der neunjährige schneeweiße Holsteiner Schimmelhengst, hatte im vergangenen Jahr mit Papa viele Springen gewonnen, darunter die Großen Preise von Neumünster und von München. Er war nach Lagunas das zweitbeste Pferd in unserem Stall, und die Tatsache, dass ich ihn reiten durfte, war zweifellos eine Auszeichnung.
»Wieso darf Elena Calvador reiten und ich nicht?«, beschwerte er sich schon beim Frühstück.
»Weil du Cotopaxi und Lancelot reitest«, entgegnete Papa ungerührt. »Das wolltest du doch selbst so.«
»Ich hätte mich ja auch nie getraut, dich nach Calvador zu fragen.«
Christian warf mir einen mehr als unfreundlichen Blick zu, den ich geflissentlich übersah. Ihn ärgerte es, dass ich plötzlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand und ausnahmsweise mal nicht er.
»Kleine Schleimkuh!«, zischte Christian mir ins Ohr, aber ich lächelte nur in mich hinein.
»Thema beendet«, sagte Papa gut gelaunt.
Mama war auch besser drauf als in den letzten Tagen. Papa und sie freuten sich auf den Lehrgang, zu dem auch viele ihrer Freunde kommen würden. Außerdem brachte er gutes Geld ein und das brauchten wir mehr als dringend.
Papa erzählte Mama, wie ich heute Morgen schon im Stall geschuftet hatte, und Christians Miene wurde immer grimmiger. Wahrscheinlich hätte er vor Ariane und den anderen nur zu gern damit angegeben, Calvador reiten zu dürfen.
In meiner Hosentasche piepste und vibrierte es plötzlich und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, dass ich jetzt ein Handy besaß.
»Ich glaube, ich habe eine SMS gekriegt«, sagte ich.
»Ach, das ist ja toll«, erwiderte Christian spöttisch. »Gibt’s denn so was?«
Ich streckte ihm die Zunge raus und sprang auf. Am Tisch haben Handys nichts zu suchen, sagte Mama immer. Das sei unhöflich. Ich ging also in den Flur und öffnete mit klopfendem Herzen die Nachricht. Sie war nicht von Tim, wie ich heimlich gehofft hatte, sondern von Melike.
Ich hab’s eben getan!!!!! , las ich und kapierte nicht, was sie damit meinte. Der Waldschrat kriegt Besuch …
Erst da fiel mir wieder der unheimliche Mann mit der Axt im Forsthaus ein. Ich
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