Elena – Ein Leben fuer Pferde
nicht lesen können! Ach, wie viel einfacher wäre es doch, wenn ich in irgendeinen anderen Jungen und nicht ausgerechnet in Tim Jungblut verliebt wäre.
Bis das Springen begann, hielt ich mich dicht in der Nähe von Christian und meinem Vater auf, denn dort würde Tim mich nicht ansprechen, es sei denn, er war lebensmüde.
Christian war mit Grandino als achter Starter an der Reihe und schaffte eine schnelle Runde, allerdings kassierte er ausgerechnet am letzten Sprung einen Abwurf.
»Tim hat mir eine SMS geschrieben«, sagte Melike zu mir. »Er will wissen, warum du ihn nicht anguckst. Soll ich ihm was zurückschreiben?«
Wir hatten uns auf die andere Seite des großen Platzes gestellt. Von hier aus hatte man eine gute Sicht und niemand konnte sich unbemerkt heranschleichen.
»Nein.« Ich schüttelte heftig den Kopf.
»Sicher?«, vergewisserte sich meine Freundin.
»Tausendprozentig sicher«, erwiderte ich. »Ich hab echt keinen Bock, mich weiter von ihm belügen zu lassen.«
Mein Zorn auf ihn war gespielt, aber nur so konnte ich den Tag überstehen, ohne zu heulen.
»Ariane ist als Nächste dran.« Melike nickte in Richtung Einritt. »Hoffentlich fliegt sie in den Wassergraben.«
»So viel Glück habe ich nicht«, entgegnete ich düster und musste schlucken, denn Tim ging neben Arianes Pferd her und sprach noch kurz mit ihr. Er gab ihr wahrscheinlich ähnliche Tipps, wie Papa sie Christian und mir gegeben hatte, und schon der Gedanke daran schmerzte wie Messerstiche. Zu meinem großen Bedauern kam Ariane ausgesprochen gut mit Con Amore zurecht und übernahm mit einem schnellen fehlerfreien Ritt die Führung in der Prüfung. Sie machte eine Riesenschau, strahlte in die Kamera, mit der ihre aufgedonnerte Mutter ihren Ritt gefilmt hatte, und ich wünschte ihr die Pest, die Pocken und drei Jahre Durchfall an den Hals.
Melike und ich machten uns auf den Weg zum Lkw, um Quintano zu satteln. Dummerweise ritt Ariane gerade denselben Weg und Tim lief neben ihr her. Da kam uns Liam entgegen.
»Entschuldige bitte«, sagte ich zu Melike, »aber es ist ein Notfall!«
Ich strahlte Liam an und zischte ihm zu: »Könntest du mich bitte mal schnell umarmen?«
Der junge Mann schaute mich etwas verwundert an, dann grinste er und tat, worum ich ihn gebeten hatte. Ich schlang auch die Arme um ihn und lachte, als habe er etwas extrem Witziges gesagt.
»Wie komme ich zu der Ehre?«, fragte Liam belustigt.
»Erklär ich dir später«, flüsterte ich. Aus den Augenwinkeln sah ich Arianes erstaunten Blick, Tim sah ich gar nicht an.
»Du kannst mich jetzt wieder loslassen«, sagte ich zu Liam, als die beiden verschwunden waren.
»Schade!« Er ließ mich los. »Wenn du wieder meine Hilfe brauchst, jederzeit gern.« Er zwinkerte mir zu und ging kopfschüttelnd weiter Richtung Turnierplatz.
Mein Herz raste, und ich fühlte mich superelend.
»Glaubst du, Tim hat das gesehen?«, fragte ich Melike unglücklich.
»Allerdings«, erwiderte meine Freundin. »Ihm sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Auch wenn ich ein klitzekleines bisschen eifersüchtig wegen Liam bin, vielleicht war das gerade das Richtige.«
Da war ich mir nicht so sicher, aber jetzt war es zu spät, um darüber nachzudenken.
Ich war so durch den Wind, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Ariane führte noch immer, als ich an der Reihe war, und das Einzige, an das ich denken konnte, war, wie unerträglich ihre Angeberei in den nächsten Tagen und Wochen sein würde, wenn sie heute das Springen tatsächlich gewinnen sollte.
Ich vergaß Papas Ermahnung, in meinem ersten Springen mit Quintano weite Bögen und auf Sicherheit zu reiten. Ich vergaß, dass ich bei meinem letzten öffentlichen Auftritt den Parcours vergessen hatte. Ich dachte an nichts anderes mehr als daran, dass ich schneller sein musste als Ariane. Quintano schien zu wissen, um was es ging, das spürte ich schon, als ich in den Parcours trabte. Er spitzte aufmerksam die Ohren und tänzelte aufgeregt.
»So«, sagte ich zu ihm, nachdem ich die Richter gegrüßt hatte, »jetzt lass mich nicht im Stich!«
Es war der pure Wahnsinn, und erst jetzt merkte ich, welche Qualitäten in dem braunen Wallach steckten. Als erfahrenes Springpferd reagierte er fein auf jede meiner Hilfen, und schon nach Sprung drei wusste ich, dass ich mich auf ihn verlassen konnte. Wir schafften die engste Wendung von Hindernis drei auf vier, indem wir noch vor dem Buchsbaumkübel herumkamen; Quintano sprang
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