Elena – Ein Leben fuer Pferde
anderen parierten unsere Pferde durch. Ein durchgehendes Pferd war gefährlich, denn wenn 600 Kilo außer Kontrolle gerieten, konnte das ein schlimmes Unglück geben.
Richard Jungblut stand außerhalb des Platzes, daneben Arianes Eltern, deren Gesichter vor Schreck ganz blass geworden waren. Ariane konnte das rasende Pferd gerade noch daran hindern, aus dem Platz zu springen.
Dann sah ich Papa. Er sprang direkt auf das Pferd zu, erwischte den Zügel. Durch den heftigen Ruck im Maul flog Con Amore herum und stoppte.
»Runter vom Pferd!«, befahl Papa scharf und Ariane gehorchte.
Der braune Wallach stand mit flackernden Augen und pumpenden Flanken neben Papa, die Ohren ängstlich angelegt. Wahrscheinlich wartete er darauf, geschlagen zu werden. Aber Papa tätschelte Con Amores schweißnassen Hals und sprach leise und beruhigend auf das verstörte Tier ein. Ariane heulte.
»Dich sollte man auf kein Pferd mehr loslassen!«, hörte ich Papas ärgerliche Stimme. »Wie kannst du dem armen Tier so die Sporen geben?«
Ariane drehte sich auf dem Absatz um und flüchtete.
Da Tim selbst auf dem Pferd saß und Arianes Eltern Angst vor Pferden hatten, musste sich Richard Jungblut wohl oder übel auf den Abreiteplatz bequemen und Papa das Pferd abnehmen. Er bedankte sich nicht einmal und zog mit Con Amore im Schlepptau ab Richtung Stallzelt.
»Das war echt voll mutig«, sagte Tim neben mir. Er war ehrlich beeindruckt. Und ich war stolz auf meinen Vater.
Das Stechen wurde eine spannende Angelegenheit. Obwohl die Hindernisse ziemlich hoch waren, versuchte jeder, die vorgelegte Zeit noch zu unterbieten.
Als ich als Drittletzte in den Parcours kam, musste ich schneller als 45,3 Sekunden reiten, um eine Chance auf den Sieg in dieser Prüfung zu haben. Quintano signalisierte mir seine Bereitschaft. Er kaute am Gebiss und tänzelte energiegeladen.
Wir begannen den Stechparcours sehr schnell und schafften eine äußerst knappe Wendung, die sich bis dahin noch keiner getraut hatte. Ich nahm mir auch nicht die Zeit, mein Pferd vor dem letzten Oxer noch einmal aufzunehmen – in gestrecktem Galopp ritt ich einfach weiter und Quintano flog mit einem gewaltigen Satz über das letzte Hindernis. Der Applaus war groß. Die Uhr war bei 41,8 Sekunden stehen geblieben!
Am Einritt kam mir Christian entgegen. Er warf mir einen finsteren und entschlossenen Blick zu. Für ihn ging es um den Sieg in der Meisterschaft, er musste alles riskieren, denn nach ihm kam nur noch Tim! Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie mein Bruder und Ronalda zu Höchstform aufliefen. Ob es daran lag, dass Ilona zuschaute und ihm die Daumen drückte?
Ronalda war eine schnelle und routinierte Stute, die nur genau so hoch sprang, wie es sein musste, und keine Zeit über dem Sprung vergeudete.
Tim hatte sein Pferd neben Quintano in die Einreiteschneise gelenkt.
»Er ist schneller als du«, sagte er.
»Ich gönn ihm den Sieg«, antwortete ich. »Dann ist er wenigstens gut drauf.«
»Moment mal«, warf Tim ein. »Ich komm ja auch noch dran.«
»Dir gönne ich’s noch mehr«, sagte ich leise.
Applaus, Pfiffe. Christian ballte triumphierend die Faust. Er hatte meine Zeit noch um drei Zehntel unterboten.
Aber nun kam Tim, der Favorit und Christians stärkster Konkurrent. Rings um den Platz wurde es totenstill, als Tim hereintrabte. Hätte er Juke Box oder Tanot de Chardin unter dem Sattel gehabt, so hätte Christian wohl keine Chance gehabt, aber mit dem neuen Pferd konnte er noch nicht das letzte Risiko reiten. Trotzdem war er sehr schnell. Ich erwischte mich dabei, wie ich auf dem Pferd saß und ihm heftig beide Daumen drückte, doch es nutzte nichts. Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Zuschauer, als Cascade de la Licorne am allerletzten Hindernis die Oxerstange riss.
Christian jubelte auf dem Abreiteplatz – damit war er Hessenmeister der Junioren! Tim würde Zweiter sein, und mir blieb ein undankbarer vierter Platz, aber ich war hochzufrieden mit Quintano und mir.
Nach der Siegerehrung gab Papa Sekt aus und Herr Nötzli gratulierte mir zu meinem hervorragenden Ritt. Er war als Besitzer von Quintano sehr zufrieden.
Viel Zeit zum Feiern blieb uns nicht. Bevor um 15 Uhr der Große Preis begann, wollten wir alles so weit aufgeladen haben, damit wir gleich nach der Ehrung der Hessenmeister den Heimweg antreten konnten. In den Stallzelten und auf dem Parkplatz herrschte Chaos. Viele reisten bereits ganz ab, überall wurden Lkws rangiert,
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