Elena – Ein Leben fuer Pferde
gesellt.
»Es war unglaublich mutig, was Tim Jungblut heute getan hat«, begann Mama schließlich.
»Mhm«, erwiderte ich nur.
»Du kannst ihn gut leiden, nicht wahr?«, fragte sie harmlos.
Ich zuckte erschrocken zusammen. Eine heiße Röte schoss mir ins Gesicht, und ich war froh, dass es so dunkel war. Verdammt! Hatte Lajos etwa unser Geheimnis ausgeplaudert?
»Ich habe bemerkt, wie ihr zwei euch angesehen habt«, fuhr Mama fort und zu meiner Überraschung lachte sie leise. »Man müsste schon blind sein, um nicht zu sehen, dass ihr euch mögt.«
Ich blieb stumm. Meine Gedanken rotierten wie ein Karussell. Was sollte ich jetzt sagen? Die Wahrheit? Tim war der Sohn des Todfeinds meiner Eltern. Und auch, wenn er Christian das Leben gerettet hatte, bedeutete das nicht gleichzeitig, dass Papa und Mama sich darüber freuen würden, dass er mein Freund war. Aber dann nahm ich mir ein Herz.
»Ja, Mama«, sagte ich. »Ich mag Tim. Sehr sogar. Und er mag mich. Er ist nicht so wie sein Vater, überhaupt nicht. Letztes Jahr kam er zu uns aufs Vereinsturnier, obwohl Christian ihn leicht hätte erkennen können. Tim ist das Risiko eingegangen – wegen mir!«
Mama ergriff meine Hand und drückte sie leicht.
»Tim ist … er ist der netteste Junge, den ich je getroffen habe«, sprach ich weiter. »Ich habe ihm von Fritzi erzählt, und da hatte er die Idee, uns heimlich zu trainieren. Er hat vom Bauern Weitzel den ehemaligen Hundeübungsplatz gemietet und alte Hindernisse mit dem Traktor hingebracht. Zusammen mit Melike haben wir einen Trainingsparcours aufgebaut, und dann haben wir uns dort ein paarmal in der Woche getroffen und trainiert.«
Nun blickte Mama mich verblüfft an.
»Dass Fritzi so springen kann, verdankt er Tim«, sagte ich. »Er ist ein großartiger Trainer. Und irgendwann ist uns klar geworden, dass … dass wir mehr sind als nur gute Kumpel. Aber da war ja Christian mit seinem wahnsinnigen Hass und diese ganze bescheuerte Erbfeindschaft!«
Ich schüttelte den Kopf und verstummte. Twix arbeitete sich bis auf meinen Schoß vor. Ich streichelte seinen Kopf und er knurrte zufrieden. Mama stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Wie Romeo und Julia«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir und legte einen Arm um mich. »Da sieht man mal wieder, dass Verbote überhaupt nichts nützen. Liebe ist stärker als jeder Hass.«
Ich zeigte Mama die Kette mit dem Medaillon, erzählte ihr von Arianes bösartiger Hetzkampagne bei SchülerVZ und davon, dass Lajos über uns Bescheid wusste.
»Tim hatte erst Angst, Lajos würde ihn nicht mögen wegen dieser alten Geschichte. Doch das war nicht so.«
»Ihr könnt auch nichts dafür«, entgegnete Mama. »Ich habe mich oft gefragt, woher bei Christian dieser wahnsinnige Hass auf Tim kommt. Sicher spielt unsere Abneigung gegen Richard eine Rolle, aber in erster Linie ist es wohl der Konkurrenzkampf zwischen den beiden. Christian will immer der Beste sein, aber Tim ist eben der bessere Reiter.«
»Vielleicht vertragen sie sich jetzt«, sagte ich hoffnungsvoll.
Der Mond stieg voll und gelb hinter der dunklen Silhouette des Waldes empor, es war ein wundervoller, majestätischer Anblick. Ein Käuzchen schrie. Ich lehnte meinen Kopf an Mamas Schulter.
»Ich würde es mir so sehr wünschen«, flüsterte ich.
»Ich mir auch«, erwiderte Mama. »Für dich und für Tim. Diese ganze Sache ist so lange her. Nichts kann Viola wieder lebendig machen oder Lajos die verlorenen Jahre zurückgeben.«
»Susanne?«, rief Papa von der Gaststätte aus.
»Wollen wir wieder rübergehen?«, fragte Mama. »Ich glaube, wir werden schon vermisst.«
»Ja, klar.«
Ich hob Twix hinunter auf den Boden und stand auf.
»Mama«, sagte ich und sie blieb stehen. »Ich bin froh, dass du jetzt über Tim und mich Bescheid weißt. Es war ganz schrecklich, vor dir Geheimnisse zu haben.«
Da schloss Mama mich fest in ihre Arme.
»Ich bin auch froh«, flüsterte sie. »Und ich bin schwer beeindruckt davon, wie du Geheimnisse bewahren kannst. Jeder andere, den ich kenne, hätte sich längst verraten.«
Wir schlenderten über den Rasen hinüber zum Parkplatz, wo Papa einen seiner Freunde verabschiedete.
»Vielleicht kannst du Tim mal zu uns auf den Amselhof einladen«, sagte Mama.
Ich war für einen Moment sprachlos.
»Aber … aber was ist mit Christian? Und mit Papa?«
»Tims mutiges Eingreifen heute hat bei Christian einiges verändert, da bin ich mir sicher«, erwiderte Mama und lächelte.
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