Elena – Ein Leben fuer Pferde
»Und um deinen Vater kümmere ich mich schon. Keine Sorge.«
Ich konnte vor Aufregung nicht einschlafen. Erst jetzt begriff ich die Tragweite dessen, was heute in Eschwege geschehen war. Tim hatte meinem Bruder das Leben gerettet und sein eigenes dabei riskiert! Und Christian, der Tim auf Turnieren und in der Schule mit wütendem Hass begegnet war, hatte ihn auf dem Treppchen bei der Meisterehrung vor allen Leuten umarmt. Das hätte er nicht tun müssen, ein einfacher Handschlag hätte ausgereicht.
Mitten in meine Gedanken vibrierte mein stumm geschaltetes Handy. Babsi. Tim!
»Du glaubst nicht, wer mich eben angerufen hat«, sagte Tim.
»Mein Bruder?«
»Genau. Er hat sich bei mir bedankt wegen heute. Und stell dir vor, was er noch gesagt hat!«
»Erzähl schon!« Ich drehte mich auf den Rücken. Träumte ich das? Mein Bruder hatte Tim auf den Amselhof eingeladen!
»Er hat gesagt, es wär ja irgendwie albern, wenn wir nicht miteinander reden würden, wo du und ich doch zusammen seien …«
»Nee, Quatsch!« Ich fuhr hoch. »Das hat er echt gesagt?«
»Wenn ich’s dir sage. Genau so.« Tim lächelte, ich konnte es an seiner Stimme hören. »Ist das nicht total irre? Hätte ich das gewusst, dann hätte ich ihm schon mal eher das Leben gerettet.«
»Oh Tim, Tim, ich bin so glücklich!«, flüsterte ich und kämpfte wieder mal mit den Tränen, diesmal aber mit den Glückstränen. »Wann hast du denn Zeit?«
»Morgen. Mein Alter fährt gleich morgen früh mit Gasparian und dem Grinser nach Frankreich und Belgien, Pferde angucken. Ich hab gedacht, ich könnte am späten Nachmittag rüberkommen, wenn ich meine Arbeit erledigt habe.«
17. Kapitel
Der Montag wollte und wollte nicht vergehen. Christian war morgens mit Fabian nach Frankfurt gefahren, Klamotten kaufen. Ich räumte mein Zimmer auf, ritt mit Melike ins Gelände, longierte Fritzi, putzte Sattelzeug und machte den großen Lkw sauber, nur um mir die Zeit zu vertreiben. Liam hatte seinen freien Tag, Opa und Papa waren mit den Traktoren rausgefahren und mähten einige der Wiesen. Das Wetter sollte in den nächsten Tagen stabil bleiben, ideal also für die Heuernte.
Beim Mittagessen bekam ich keinen Bissen hinunter. Je näher der kleine Zeiger auf meiner Uhr an die Fünf heranrückte, desto nervöser wurde ich. Melike, Ilona, Kiki und ich saßen auf der Bank unter der großen Trauerweide am Reitplatz und quatschten über die Hessenmeisterschaften und unsere Pferde.
Fabian und Christian kehrten zurück und gesellten sich zu uns.
Und dann kam Tim. Pünktlich um fünf bog er mit seinem Moped in die Auffahrt ein und fuhr auf den Parkplatz. Mein Herz raste, mir war schwindelig. Tim hier, auf dem Amselhof! Er setzte seinen Helm ab und kam lächelnd auf uns zu. Ich war kurz vor einer Ohnmacht.
»Hey, der ist ja süß«, sagte Kiki nichts ahnend.
»Allerdings«, erwiderte Melike. »Aber nichts für dich.«
Christian stand auf und ging Tim entgegen.
»Hey, Jungblut«, sagte er lässig und grinste. »Hast den Weg ja tatsächlich gefunden.«
»Hey, Weiland«, antwortete Tim. »Deine Wegbeschreibung war auch gut.«
Er hob die Hand und Christian klatschte ihn ab. Dann blickte er mich an.
»Hallo, Goldstück.«
»Hallo.« Ich stand da, als würde ich ihn das erste Mal sehen. Und was tat er? Er kam auf mich zu und gab mir – platsch! – einen Kuss mitten auf den Mund.
»Ah, okay«, sagte Kiki hinter mir. »Hab’s kapiert.«
Christian stellte Tim die anderen vor, dann herrschte verlegenes Schweigen. So einfach war es nicht, eine zwanzig Jahre alte Familienfehde zu begraben. Melike rettete mal wieder die Situation.
»Was haltet ihr davon, rüber ins Waldschwimmbad zu fahren?«, schlug sie vor. »Ich bin schon richtig angeschmolzen bei der Hitze.«
»Als Türkin solltest du die Hitze doch gewöhnt sein«, neckte Christian sie.
»Ich hab ungefähr genauso lange in der Türkei gelebt wie du«, schoss Melike zurück. »Also, was ist jetzt?«
Fabian und Kiki waren gleich Feuer und Flamme. Ilona wollte ihre Mutter anrufen, damit sie sie später abholte.
»Ja, das ist wohl unsere letzte Chance für die nächsten Tage«, stimmte auch Christian zu.
»Wieso denn das?«, erkundigte Tim sich erstaunt. »Die Ferien haben doch eben erst angefangen.«
»Ab morgen geht’s ins Heu«, erklärte Christian. »Mein Opa und mein Vater sind heute schon den ganzen Tag am Mähen und Wenden. Morgen pressen wir auf zwei Wiesen kleine Ballen. Und die müssen
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