Elenium-Triologie
vertrauen müssen. Ich bin sicher, er möchte nicht, daß Annias Erzprälat wird, und ich bin überzeugt, daß er Otha nicht in Chyrellos' haben will.«
»Hoffen wir es.«
Berit und Talen ritten nicht weit hinter ihnen. Im Lauf der Monate hatte sich eine besondere Art von Freundschaft zwischen dem Novizen und dem jungen Dieb entwickelt, die sich unter anderem dadurch ergeben hatte, daß beide sich in Anwesenheit der Älteren ein wenig unbehaglich fühlten.
Berit richtete sich im Sattel auf. »Es ist so, Talen«, erklärte er, »wenn der alte Erzprälat stirbt, versammeln die Patriarchen der Hierokratie sich in der Basilika. Die meisten anderen hohen Kirchenmänner sind ebenfalls dort. Für gewöhnlich auch die Könige von Eosien. Jeder König hält zu Beginn eine Rede, doch während der Beratung der Hierokratie darf niemand außer den Patriarchen sprechen. Sie sind auch die einzigen, die stimmberechtigt sind.«
»Heißt das, die Hochmeister dürfen gar nicht wählen?«
»Die Hochmeister sind Patriarchen«, warf Perraine ein, der hinter ihnen ritt.
»Das wußte ich nicht. Ich habe mich gefragt, warum jeder den Ordensrittern respektvoll Platz macht. Wie kommt es dann, daß Annias der Kirche in Cimmura vorsitzt?«
»Patriarch Udale ist dreiundneunzig, Talen«, erklärte Berit. »Er lebt zwar noch, aber wir sind nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch seinen eigenen Namen weiß. Er wird im pandionischen Mutterhaus in Demos gepflegt.«
»Das macht es Annias nicht gerade leichter, nicht wahr? Als Primas darf er nicht reden – oder abstimmen, und er hat gewiß auch keine Möglichkeit, diesen Udale zu vergiften, wenn sich der im Mutterhaus aufhält, oder?«
»Richtig. Und deshalb braucht er Geld. Er muß Leute kaufen, die für ihn reden – und für ihn stimmen.«
»Einen Moment! Annias ist doch nur ein Primas, oder nicht?«
»Stimmt.«
Talen runzelte die Stirn. »Wenn er bloß ein Primas ist, während die anderen Patriarchen sind, wie kann er davon ausgehen bei der Wahl eine Chance zu haben?«
»Ein Kirchenmann braucht nicht Patriarch zu sein, um den Kirchenthron besteigen zu dürfen. Im Lauf der Geschichte wurden schon mehrmals einfache Dorfpfarrer Erzprälat.«
»Das alles ist sehr kompliziert, findet Ihr nicht? Wäre es nicht einfacher, wenn wir mit der Armee einrückten und den Mann auf den Thron setzten, den wir wollen?«
»Das wurde in früherer Zeit schon versucht. Aber es hat nie richtig geklappt. Ich glaube, Gott hat das nicht gebilligt.«
»Er wird es noch viel weniger billigen, wenn Annias gewählt wird, oder?«
»Da magst du recht haben, Talen.«
Tynian ritt mit breitem Grinsen herbei. »Kalten und Ulath amüsieren sich damit, Lycheas' Angst noch zu schüren. Ulath köpft im Vorüberreiten Schößlinge mit seiner Axt, und Kalten hat eine Henkersschlinge geknüpft und deutet damit auf überhängende Äste. Wir mußten Lycheas' Hände an den Sattelknauf ketten, damit er nicht bewußtlos aus dem Sattel fällt.«
»Kalten und Ulath sind anspruchslose Burschen«, bemerkte Sperber. »Es braucht nicht viel, sie zu amüsieren. Lycheas wird seiner Mutter eine Menge zu erzählen haben.«
Gegen Mittag verließen sie die Landstraße und ritten querfeldein südostwärts. Das schöne Wetter hielt an. Sie kamen rasch voran und erreichten Demos spät am nächsten Tag. Kurz bevor die Kolonne nach Süden zum Lager der übrigen drei Orden abbog, brachten Sperber, Kalten und Ulath Lycheas um den Nordrand der Stadt herum zu dem Kloster, in dem Prinzessin Arissa gefangengehalten wurde. Es war von bewaldeten Hängen umgeben und hatte gelbe Sandsteinmauern. Vögel sangen auf den Bäumen ringsum im Spätnachmittagssonnenschein.
Sperber und seine Freunde saßen am Tor ab und zerrten den geketteten Lycheas ziemlich grob aus dem Sattel.
»Wir müssen mit Eurer Mutter Oberin sprechen«, sagte Sperber zu der sanften, kleinen Nonne, die ihnen das Tor öffnete. »Hält Prinzessin Arissa sich immer noch die meiste Zeit im Garten an der Südmauer auf.«
»Ja, Herr Ritter.«
»Seid so gut und bittet die Mutter Oberin, sich uns dort anzuschließen. Wir wollen ihr Arissas Sohn übergeben.« Er faßte Lycheas am Schlafittchen und zog ihn quer durch den Hof zu dem mauerumgebenen Garten, in dem Arissa viele Stunden ihrer Gefangenschaft verbrachte.
»Mutter!« rief Lycheas, als er sie sah. Er riß sich von Sperber los und stolperte auf sie zu. Die Ketten behinderten seine flehend ausgestreckten Hände.
Prinzessin Arissa
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