Elenium-Triologie
Sperber.
»Was?«
»Die Anrede für sie ist ›Ihre Majestät‹ – oder zumindest ›Königin Ehlana‹. Es ist höchst unziemlich, sie nur beim Namen zu nennen! Wie ich also feststellen muß, ist es meine Pflicht, sie ebenso vor mangelndem Respekt zu schützen wie vor körperlicher Gefahr. Die genaue Auslegung des Gesetzes in dieser Beziehung ist mir nicht ganz vertraut, ich halte es deshalb für das beste, meinen alten Freund, den Grafen von Lenda, entscheiden zu lassen, ehe ich Eurer Hoheit meine Forderung durch meine Sekundanten überbringen lasse.«
Lycheas wurde kreidebleich. »Forderung?« »Das ist völliger Unsinn!« rief Annias. »Eine Forderung wird weder überbracht noch angenommen! Sperber bedient sich dieser durchsichtigen Ausrede lediglich, um seinen Verbannungsbruch zu rechtfertigen. Wenn er keinen schriftlichen Beweis erbringen kann, daß er gerufen wurde, ist er des Hochverrats überführt!« Der Primas lächelte dünn.
»Ich dachte schon, Ihr würdet nicht danach fragen, Annias.« Sperber langte unter seinen Schwertgürtel und brachte ein zusammengefaltetes Stück Pergament hervor, das mit einem blauen Band umwickelt war. Er öffnete die Schleife und faltete das Pergament auf. Der blutrote Stein seines Ringes funkelte im Kerzenlicht.
»Dieses Schreiben enthält alles Erforderliche«, sagte er, nachdem er das Schriftstück überflogen hatte. »Es ist mit Unterschrift und Siegel der Königin versehen, und die Anweisungen Ihrer Majestät an mich sind eindeutig.« Er streckte den Arm aus und reichte dem Grafen von Lenda das Pergament. »Was ist Eure Meinung, mein Graf?«
Der alte Herr nahm das Schriftstück und las es. »Es ist zweifellos das Siegel der Königin«, bestätigte er, »ebenso ist es die Handschrift Ihrer Majestät. Sie befiehlt Sir Sperber, sich sogleich nach ihrer Thronbesteigung bei ihr zu melden. Es ist eine rechtsgültige königliche Order, meine Herren.«
»Laßt mich sehen!« schnaubte Annias.
Lenda reichte das Pergament an ihn weiter.
Der Primas preßte die Lippen zusammen, als er es rasch las. »Es ist nicht datiert!« erklärte er.
»Verzeiht, Exzellenz«, warf Lenda ein, »aber es gibt keine gesetzliche Vorschrift, daß ein königliches Dekret datiert sein muß.«
Annias kniff die Augen zusammen und fragte scharf: »Wo habt Ihr das her?«
»Es befindet sich schon geraume Zeit in meinem Besitz«, erklärte Sperber.
»Zweifellos wurde es ausgestellt, ehe die Königin den Thron bestieg.«
»Hat ganz den Anschein, nicht wahr?«
»Es ist wertlos!« Der Primas nahm das Pergament in beide Hände, als wolle er es zerreißen.
»Was ist die Strafe für die Vernichtung eines königlichen Dekrets, mein Graf von Lenda?« erkundigte sich Sperber ruhig.
»Hinrichtung.«
»Das dachte ich mir. Macht schon, Annias, zerreißt es! Es wird mir ein Vergnügen sein, das Urteil persönlich zu vollstrecken – nur um Zeit und Kosten für ein langwieriges Gerichtsverfahren zu sparen.« Sperber hielt Annias' flammenden Blicken gelassen stand. Nach einem Moment warf der Primas das Schriftstück verärgert auf den Tisch.
Lycheas hatte mit wachsender Besorgnis zugesehen. Da erst fiel ihm etwas auf. »Euer Ring, Ritter Sperber«, sagte er mit seiner winselnden Stimme, »er ist das Zeichen Eures Amtes, nicht wahr?«
»Sozusagen. Tatsächlich ist dieser Ring und der Ihrer Majestät die symbolische Verbindung zwischen ihrer Familie und meiner.«
»Gebt ihn mir!«
»Nein!«
Lycheas Augen quollen hervor. »Ich habe Euch soeben einen königlichen Befehl erteilt!« brüllte er.
»Nein, es war eine persönliche Bitte, Lycheas. Ihr könnt gar keine königlichen Befehle erteilen, da Ihr nicht der König seid!«
Lycheas blickte unsicher auf den Primas, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Der pickelige junge Mann errötete.
»Der Prinzregent wollte sich den Ring nur näher ansehen, Ritter Sperber«, erklärte der Kirchenmann besänftigend. »Wir suchten sein Gegenstück, den Ring, den König Aldreas trug, aber er ist verschwunden. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wo wir ihn finden könnten?«
Sperber spreizte die Hände. »Aldreas trug ihn am Finger, als ich nach Cippria aufbrach. Die Ringe werden üblicherweise nicht abgenommen, demnach ist zu vermuten, daß er ihn noch trug, als er starb.«
»Das war nicht der Fall.«
»Vielleicht hat ihn die Königin.«
»Nicht, soweit wir feststellen konnten.«
»Ich will diesen Ring«, beharrte Lycheas, »als Zeichen meiner Würde!«
Sperber
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