Elenium-Triologie
Zweitens ist es Kirchenleuten verboten, sich in Magie zu versuchen, soweit ich mich entsinne.«
»Ihr habt keine Beweise, Sperber.«
»Ich brauche auch keine, Annias. Mein Eid als pandionischer Ritter genügt sowohl vor einem Zivil- als auch vor einem Kirchengericht. Belassen wir es dabei. Aber richtet nie wieder irgendwelche Zaubersprüche gegen mich!«
Der Rat und Sperber folgten Lycheas einen mit Kerzen beleuchteten Gang entlang zu der breiten Flügeltür des Thronsaals. Lycheas blieb davor stehen, zog einen Schlüssel aus seinem Wams und schloß sie auf. »Gut denn«, sagte er zu Sperber, »sie ist offen. Begebt Euch zur Königin – was immer Ihr Euch davon versprecht.«
Sperber nahm eine brennende Kerze aus einem silbernen Wandhalter am Gang und betrat den dunklen Raum.
Es war kühl, fast klamm im Thronsaal, und die Luft roch abgestanden, ja modrig. Er ging die Wand entlang und zündete eine Kerze nach der anderen an, dann auch die in den mehrarmigen Leuchtern zu beiden Seiten des Thrones.
»Soviel Licht braucht Ihr wahrhaftig nicht, Sperber«, rief Lycheas, der an der Tür stehengeblieben war.
Sperber achtete nicht auf ihn. Er streckte die Hand aus, betastete vorsichtig den Kristall, welcher den Thron einschloß, und spürte Sephrenias vertraute Ausstrahlung in dessen Innern. Dann hob er bedächtig die Augen, um in Ehlanas bleiches, junges Gesicht zu blicken. Was ihr Aussehen betraf, so hatte sich an ihr erfüllt, was schon das Kind versprach. Sie war nicht einfach hübsch, wie es viele junge Mädchen sind, sie war schön. Ihre Züge waren von makelloser Vollkommenheit, hellblondes, langes Haar rahmte ihr zartes Gesicht ein. Sie trug ihr Amtsgewand und die schwere Goldkrone von Elenien. Ihre schmalen Hände ruhten auf den Thronlehnen, ihre Augen waren geschlossen.
Er erinnerte sich, daß er sich anfangs bitter über den Befehl König Aldreas' geärgert hatte, der ihn zum Hüter des jungen Mädchens machte. Doch bald hatte er erkannt, daß sie keine eingebildete Göre war, sondern eine ernsthafte kleine Dame mit flinkem Verstand, gutem Gedächtnis und wachem Interesse. Nachdem ihre anfängliche Schüchternheit ihm gegenüber verflogen war, hatte sie angefangen, ihm eingehende Fragen über alles zu stellen, was im Schloß und im Reich vorging, und so hatte ihre Ausbildung in Staatskunst und der komplizierten Politik am königlichen Hofe fast zufällig begonnen. Nach wenigen Monaten waren sie bereits gute Freunde, und er hatte sich immer auf ihre täglichen Gespräche gefreut, in denen er behutsam ihren Charakter formte und sie auf ihre Aufgabe als Königin vorbereitete.
Sie nun wie im Tod erstarrt zu sehen schnitt ihm ins Herz, und er schwor sich, die Welt aus den Angeln zu heben, wenn er ihr nur auf diese Weise helfen könnte, ihre Gesundheit und ihren Thron wiederzuerlangen. Es machte ihn wütend, sie so zu sehen, und er verspürte das völlig irrationale Bedürfnis, auf alles einzuschlagen, als könne er ihr Bewußtsein mit physischer Gewalt wiedererwecken.
Und dann hörte und fühlte er es. Der Klang schien mit jedem Augenblick deutlicher und lauter zu werden. Es war ein regelmäßiges, festes Pochen, dem Schlag einer Trommel ähnlich. In stetigem Rhythmus, ohne zu stocken, schwang es durch den Saal, daß jeder, der eintreten mochte, sehr wohl hörte, daß Ehlanas Herz noch schlug.
Sperber zog sein Schwert und entbot seiner Königin den Gruß. Dann ließ er sich in tiefster Hochachtung und Liebe auf ein Knie fallen. Er beugte sich vor und küßte sanft den harten, kalten Kristall, während ihm plötzlich Tränen in die Augen traten. »Jetzt bin ich da, Ehlana«, murmelte er, »und ich werde dafür sorgen, daß alles wieder gut wird.«
Der Herzschlag wurde lauter, als hätte sie auf unerklärliche Weise seine Worte vernommen.
Sperber hörte Lycheas an der Tür abfällig kichern, und er nahm sich das Versprechen ab, mit dem Bastardvetter der Königin einige unangenehme Dinge anzustellen, falls sich die Gelegenheit dazu ergab. Dann stand er auf und ging zur Tür zurück.
Lycheas blickte ihm spöttisch lachend entgegen. Den Schlüssel zum Thronsaal hielt er noch in der Hand. Als Sperber an ihm vorbeischritt, nahm er Lycheas den Schlüssel ab. »Ihr werdet ihn nicht mehr brauchen«, sagte er. »Ich bin jetzt hier und kümmere mich darum.«
»Annias!« rief Lycheas in schrillem Protest.
Dem Primas jedoch genügte ein kurzer Blick auf das finstere Gesicht des Streiters der Königin. »Laßt ihm den
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