Elenium-Triologie
gesehen hatte. Er zog seine Karte und warf einen Blick darauf.
»Was ist los?« fragte Kalten.
»Hältst du es für möglich, daß wir irgendwo falsch abgebogen sind? Seit über zwanzig Jahren nehme ich schon diese Straße, aber plötzlich sehe ich keinen vertrauten Orientierungspunkt mehr.«
»Oh, großartig, Sperber!« sagte Kalten kichernd. Er blickte über die Schulter zu den anderen. »Unserem glorreichen Feldherrn ist es gelungen, sich zu verirren«, erklärte er. »Wir sind ihm blind durch die halbe Welt gefolgt, und jetzt kennt er sich zwanzig Meilen von zu Hause entfernt nicht mehr aus. Ich weiß nicht, wie ihr es seht, aber mein Vertrauen in ihn schwindet rapide.«
»Möchtest du uns führen?« fragte Sperber ihn gereizt.
»Und mir diese Gelegenheit entgehen lassen, nichts zu tun, außer zu nörgeln und zu kritisieren? Nie und nimmer!«
Es sah nicht danach aus, als würden sie vor Anbruch der Dunkelheit irgendein erkennbares Ziel erreichen, und sie waren keineswegs darauf vorbereitet, die Nacht im Freien zu verbringen. Sperbers Besorgnis wuchs.
Flöte streckte den Kopf aus einem Fenster der Kutsche.
»Was ist los, Sperber?« erkundigte sie sich.
»Wir müssen ein Nachtquartier finden«, antwortete er, »aber wir sind auf den letzten zehn Meilen an keinem einzigen Haus vorübergekommen.«
»Reite nur weiter, Sperber«, wies sie ihn an.
»Es wird bald dunkel, Flöte.«
»Dann sollten wir uns beeilen.« Sie verschwand wieder in der Kutsche.
Von einer Hügelkuppe blickten sie in der Dämmerung über ein Tal, das einfach nicht sein konnte , wo es war. Unter ihnen breiteten sich sanft gewellte, von Birkenhainen unterbrochene Wiesen aus. Auf halber Höhe des Hanges stand ein niedriges, strohgedecktes Haus, aus dessen Fenstern goldschimmernd Kerzenlicht schien.
»Vielleicht nehmen sie uns für die Nacht auf«, sagte Stragen hoffnungsvoll.
»Nur weiter, meine Herren«, rief Flöte aus der Kutsche. »Das Abendessen steht bereit. Es wäre unhöflich, es kalt werden zu lassen.«
»Aphrael ist wohl immer für eine Überraschung gut?« meinte Stragen.
»O ja«, bestätigte Sperber, »das ist ihr größtes Vergnügen.«
Wäre es ein bißchen kleiner gewesen, hätte man das Haus als Hütte bezeichnen können. Doch die Zimmer waren groß, und es gab erstaunlich viele. Die Möbel waren bäuerlich, aber gutgearbeitet. Überall standen Kerzen, und in jedem der blitzblanken Kamine brannte ein gemütliches Feuer. Auf einem langen, reich gedeckten Tisch in der großen Stube wartete ein üppiges Bankett auf sie. Doch außer ihnen befand sich keine Menschenseele im Haus.
»Gefällt es euch?« fragte Flöte mit seltsam besorgter Miene.
»Es ist wundervoll«, versicherte Ehlana ihr und umarmte die Kleine.
»Es tut mir leid«, erklärte Flöte entschuldigend, »ich konnte mich einfach nicht überwinden, euch Schinken vorzusetzen. Ich weiß zwar, wie gern ihr Elenier Schweinefleisch eßt, aber…« Sie schauderte.
»Ich glaube, wir werden es nicht sehr vermissen, Flöte.« Kalten betrachtete die Tafel mit leuchtenden Augen. »Nicht wahr, Platime?«
Der fette Dieb blickte fast ehrfürchtig auf die vielen Speisen. »Meine Güte, ja, Kalten«, pflichtete er ihm begeistert bei. »Es sieht alles köstlich aus.«
Ohne Ausnahme aßen alle mehr, als gut für sie war, und seufzten anschließend in wohliger Sattheit.
Berit kam um den Tisch und lehnte sich über Sperbers Schulter. »Sie macht es schon wieder, Sperber«, murmelte der junge Ritter.
»Was?«
»Die Feuer brennen, seit wir hier sind, trotzdem muß noch immer kein Holz nachgelegt werden. Und die Kerzen werden nicht kürzer!«
Sperber zuckte die Schultern. »Es ist ihr Haus, nehme ich an.«
»Ich weiß, aber…« Berit fühlte sich sichtlich nicht wohl. »Es ist unnatürlich«, sagte er schließlich.
»Berit«, erinnerte Sperber ihn mit sanftem Lächeln, »wir sind durch eine unmögliche Gegend geritten, haben ein Haus erreicht, das nicht wirklich hier ist, und speisen ein Festmahl, das niemand zubereitet hat, und Ihr macht Euch Sorgen wegen ein paar Kleinigkeiten wie endlos brennende Kerzen und ein Kaminfeuer, das kein Holz braucht?«
Berit lachte und kehrte zu seinem Stuhl zurück.
Die Kindgöttin nahm ihre Pflichten als Gastgeberin sehr ernst. Sie schien sogar besorgt, es könne irgend etwas nicht perfekt sein, als sie ihre Gäste zu den Zimmern brachte, und erklärte übereifrig Dinge, die gar nicht erklärt werden mußte.
»Sie ist ein so liebes,
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