Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
anzustoßen. »Und bei Gott, ich hoffe, daß Sie es auch nie müssen, Sid.«
»Warum ›müssen‹?« sagte Jaqueline. Ihr Gesicht sah im trüben Licht hart und nüchtern aus. »Warum sagen Sie das?«
Ken blinzelte sie an. »Also, ich meine nur – Sie wis- sen schon –, daß er sich nie verkaufen muß oder so. Das würde er natürlich auch nicht.«
»Was soll das heißen ›verkaufen‹?« Es folgte ein ver- legenes Schweigen, bis Sid auf seine tiefe, polternde Art lachte. »Nimm's leicht, Liebling«, sagte er und wandte sich an Ken. »Wir sehen es nicht so. Im Gegenteil, ich arbeite an allen Ecken daran, in die Staaten zurückzukeh- ren, um Geld zu verdienen. Da sind wir uns einig.«
»Ja, aber es geht Ihnen doch gut hier, oder?« sagte Ken, flehte ihn nahezu an. »Sie verdienen hier doch genug, oder?«
Sid lächelte geduldig. »Ich meine nicht eine Arbeit wie diese. Ich rede von richtigem Geld.«
»Wissen Sie, wer Murray Diamond ist?« fragte Jaque- line und zog die Augenbrauen hoch. »Der Nachtclub- besitzer aus Las Vegas?«
Aber Sid schüttelte den Kopf und lachte. »Liebling, warte mal – ich habe dir schon mehrmals gesagt, daß wir darauf nicht zählen können. Murray Diamond war neu- lich hier«, erklärte er. »Er hatte nicht viel Zeit, aber er hat gesagt, er wolle versuchen, diese Woche noch einmal zu kommen. Das wäre eine große Chance für mich. Aber wie gesagt, man kann nicht darauf zählen.«
»Aber, Himmel noch mal, Sid.« Ken schüttelte verwun- dert den Kopf; dann spannten sich seine Züge vor Empö- rung an, und er schlug schwungvoll mit der Faust auf den Tisch. »Warum sich prostituieren?« wollte er wissen. »Ich meine, verdammt, Sie wissen doch, daß man Sie in den Staaten dazu zwingen wird, sich zu prostituieren!«
Sid lächelte noch immer, aber seine Augen waren leicht zusammengekniffen. »Ich denke, das kommt ganz darauf an, wie man es sieht«, sagte er.
Und das Schlimmste war für Ken, daß Carson Sid sofort zu Hilfe eilte. »Ach, ich bin sicher, daß Ken es nicht so meint, wie es klingt«, sagte er, und während Ken Ent- schuldigungen stammelte (»Nein, natürlich nicht, ich meinte nur – Sie wissen schon –.. »), sagte er andere Din- ge, unbeschwerte, geschickte Dinge, wie nur Carson sie sagen konnte, bis der peinliche Moment vorüber war. Als es Zeit war, sich zu verabschieden, wurden Hände ge- schüttelt, es wurde gelächelt und versprochen, sich bald wiederzusehen.
Aber kaum standen sie auf der Straße, fiel Carson über Ken her. »Warum mußtest du deswegen so verdammt hochtrabend werden? Hast du nicht bemerkt, wie pein- lich das war?«
»Ich weiß«, sagte Ken und beeilte sich, um mit Carsons langen Beinen Schritt zu halten. »Ich weiß. Aber ver- dammt, ich war so enttäuscht von ihm, Carson. Ich habe ihn nie zuvor so reden gehört.« Was er natürlich nicht sagte, war, daß er ihn eigentlich überhaupt nie reden ge- hört hatte außer in der einen schüchternen Unterhal- tung, die damals dazu geführt hatte, daß er in Harry's Bar anrief, wonach Ken ins Hotel geflüchtet war aus Angst, länger zu bleiben, als er erwünscht war.
»Trotzdem«, sagte Carson. »Findest du nicht, daß es sei- ne Sache ist, was er mit seinem Leben anfangen will?«
»Okay«, sagte Ken, »okay. Ich habe ihm doch gesagt, daß es mir leid tut, oder?« Er fühlte sich jetzt so klein, daß er ein paar Minuten brauchte, bis ihm klar wurde, daß er in gewisser Weise gar nicht so schlecht abgeschnit- ten hatte. Carsons einziger Triumph an diesem Abend war der des Diplomaten, des Beschwichtigers von Gefüh- len gewesen; er, Ken, war es gewesen, der etwas Drama tisches getan hatte. Hochtrabend oder nicht, impulsiv oder nicht, zeugte es nicht von einer gewissen Würde, mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg zu hal- ten? Er befeuchtete sich die Lippen und blickte im Gehen auf Carsons Profil, dann richtete er sich auf und ver- suchte, weniger zu watscheln, sondern mehr ungestüm und männlich zu schreiten. »Ich kann doch nichts für meine Gefühle«, sagte er voller Überzeugung. »Wenn ich von jemandem enttäuscht bin, zeige ich es auch, das ist alles.«
»Gut. Vergessen wir's.«
Und Ken war sich fast sicher, obschon er es kaum zu glauben wagte, daß er aus Carsons Stimme widerwilligen Respekt heraushörte.
Am nächsten Tag lief alles schief. Beim schwindenden Licht des Nachmittags saßen sie zusammengesackt in einem trostlosen Arbeitercafé in der Nähe
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