Elf Leben
verzweifelt den Kopf.
»Da drüben im Schrank. Versuch’s mit dem Zimmer hier. Du hast zehn Minuten.«
Während Xavier das wimmernde Gerät über den dicken grünen Teppich treibt, erinnert er sich, wie er einmal als Neunjähriger auf dem Beifahrersitz das Lenkrad des alten Holden halten durfte, als sie in irgendeinem Urlaub auf einer Landstraße fuhren.
Was würde sein Dad wohl hiervon halten, fragt er sich, während er die Staubsaugerdüse in eine Ecke hinter der Kante eines antiken Bücherschranks richtet, in dem alte Bücher stehen, die nie gelesen werden. Ich bin nach England gezogen – fast fünfzig Jahre, nachdem Dad, wie er es betrachtete, Mum von dort gerettet hat. Ich habe kein Auto, was für ihn so undenkbar wäre, als hätte man kein Dach auf dem Haus. Und ich staubsauge im Haus einer reichen Frau, um eine andere Frau zu beeindrucken.
»Stopp, sofort.« Pippa, das weißblonde Haar jetzt mit Haarklemmen schmerzhaft straff zurückgesteckt, kommt ins Zimmer marschiert und reißt ihn aus seinen Gedanken. Sie bückt sich und bringt das Gerät mit einem Knopfdruck zum Schweigen. »Siehst du, was ich meine? Guck mal. Da liegt noch was.« Schon sind ihre empörten Finger zum Aufzählen gezückt. »Und da . Und da warst du noch nicht mal. Das ist zwecklos. Da hätte ich das Zimmer ja mit den Füßen sauberer bekommen.«
»Aber ich war da. Und da auch.«
»Dann machst du irgendwas falsch, Schätzchen. Guck mal.« Sie gibt Xavier den Schlauch wieder in die Hand und legt ihre Hände auf seine, wie jemand, der einem Kind die ersten Tennisschläge beibringt. »Wir gehen das mal zusammen durch.«
Mit dem Zeh drückt sie wieder auf den Knopf, und der Staubsauger röhrt den dicken Teppich an. Xavier spürt, wie sich Pippa von hinten gegen ihn presst, die Fülle ihrer Brüste an seinem Rücken und ihre Hände auf seinen. Sie sagt etwas, das im Brummen untergeht.
»Was?«
»Ich sagte«, sagt sie lauter, »du kannst froh sein, dass du so ein Training bekommst. Ich sollte Geld dafür nehmen. Guck mal. Du musst draufdrücken. Zwing ihn, den Schmutz aufzunehmen. Vertrau ihm nicht einfach. Zwing ihn.«
»Kannst du das noch mal sagen, ›Zwing ihn, den Schmutz aufzunehmen‹?«
»Warum?«
»Das war hinreißend, mit deinem Akzent.«
»Du bist ein gönnerhaftes Arschloch«, flüstert ihm Pippa ins Ohr, und das Unvermittelte dieser Berührung ist genau eine Vertrautheit zuviel.
Xavier dreht sich um und küsst sie.
Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden im Haus eines Fremden, sieht Xavier, splitternackt, hoch zu der Frau, die rittlings auf ihm sitzt. Er hebt die Arme und greift nach ihrem Rücken, nach der Rundung am Ansatz ihres Pos, und als wären seine Finger mit Sensoren ausgestattet, suchen sie nach Sommersprossen, Leberflecken, jedem noch so kleinen Detail ihrer Haut. Mit wildem Vergnügen spürt er ihr Gewicht auf sich. Hilflosigkeit beim Sex ist etwas, das er bisher nicht kannte. Er will etwas sagen, aber Pippa beugt sich hinunter und verschließt seinen Mund mit einem Kuss. Ihre starken Hände liegen auf seiner Brust. Er sieht hoch an die reich verzierte Decke – Stuckatur heißt das doch, denkt er. Sein Gehirn konzentriert sich auf alles, was es zu fassen bekommt.
Als Xavier sich in ihr bewegt, beißt sie die Zähne zusammen und stößt einen tiefen Seufzer aus. Er zittert; sein ganzer Körper fühlt sich an wie ein Beutel kurz vor dem Platzen. Es kommt ihm vor, als hätte noch nie jemand etwas so Gutes getan wie das.
Edith Thorne wird nie wieder Sex mit jemand anderem als ihrem Mann haben. Sie weiß, dass sie sich unverzeihlich verhalten und alles aufs Spiel gesetzt hat. Mit dem Politiker machte sie sofort Schluss: Das war auch in seinem Interesse, genau genommen war es für ihn der einzige Weg, irgendeine Art von Karriere weiterzuverfolgen, zumal er in fünf Jahren im Kabinett sitzen will. Edith und ihre Agentin Maxine haben, durch Zahlungen und Drohungen, das Schweigen einiger anderer Leute sichergestellt. Aber da ist immer noch der Barmann, Alessandro.
Er akzeptiert einfach nicht, dass es vorbei ist. In den letzten fünf Tagen hat er sie fast nonstop mit SMS und Anrufen bombardiert. Sie musste seine Nummer auf ihrem Handy sperren, aber seine Nachrichten kommen weiterhin an, und wenn Phil darin herumschnüffeln würde – was in Anbetracht der jüngsten Ereignisse sehr viel wahrscheinlicher ist als früher –, wäre das nächste Desaster vorprogrammiert.
Sie haben sich in einer
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