Elf Leben
dir nehmen.«
»Ich muss arbeiten, Xavier. Soll ich dich einfach meine Rechnungen bezahlen lassen, oder wie? Glaubst du, ich hab keinen Stolz?« Der Blick ihrer blauen Augen stößt hinab auf die Tischplatte.
Sie meint es ernst mit ihrem Stolz, es ist ein heikles Thema, aber er lässt trotzdem nicht locker, auch wenn Geld einer der Faktoren war, die an jenem schrecklichen Abend zu dem schrecklichen Streit geführt haben.
»Ich sage ja nicht, dass du … dich von mir aushalten lassen sollst. Ich sage nur, dass wir doch mal praktisch denken könnten. Ich hab ein bisschen Geld. Du hast nicht viel. Du schuftest dich ab, wodurch du auf lange Sicht noch mehr arbeiten musst, weil du –«
»Und wie stellst du dir das vor? Soll ich das nächste Mal, wenn ich einen Fuffi verdienen könnte, zu dir kommen und mir von dir einen geben lassen, oder wie?«
»Nein …«
»Oder willst du mich dafür bezahlen, dass ich mit dir rumhänge?«
»Nein. Bloß … ich weiß auch nicht. Vielleicht solltest du ab und zu einfach zulassen, dass ich dir was Gutes tue, ohne dich zu beschweren.«
»Ich lass mich doch gerade schon von dir zum Tee einladen. In einem Café .« Sie schüttelt den Kopf. »Meine Mutter würde mir das nie verzeihen. ›Ausgehen, in ein Café! Was glaubst du eigentlich, wozu ich Teebeutel kaufe!‹«
Immerhin ließ sie zu, dass er ihr einen Mantel kaufte: einen bodenlangen Traum in Grün mit einem Blumenmuster – dick, fast schon ein Wintermantel –, den sie vor fast sechs Monaten im Schaufenster eines Ladens in Soho entdeckt hatte.
»Jedes Mal, wenn ich da vorbeigehe, bleibt mir fast das Herz stehen, weil ich Angst habe, er ist nicht mehr da.«
Xavier ging schnurstracks hinein und kaufte ihn.
»So, das hätten wir erledigt. Wäre ja eine Schande, wenn du wegen eines Mantels Herzversagen hättest.«
Sie wurde rot, bedankte sich bei ihm und küsste ihn auf den Mund.
Letzte Woche kaufte er ihr nach einem anstrengenden Tag eine Schachtel Pralinen, um sie etwas aufzumuntern. Sie gehen ins Kino, chinesisch essen, machen lange Spaziergänge. Sie telefonieren zwei-, drei- oder viermal am Tag. Er plant, ihr in ein paar Wochen ein neues Kleid zu kaufen und mit ihr auszugehen, zu einer Ausstellung mit einem piekfeinen Cocktailempfang vorher.
Er weiß noch, wie absurd es ihm vor Kurzem erschien, selbst unter vier Augen anzudeuten, er wolle »sie ausführen«. Er ist sich nicht sicher, ob sie etwas weniger widerborstig geworden ist oder er einfach nur mutiger.
Heute Nacht betrachtet er ihr schlafendes Gesicht, die Lider, die fast unmittelbar, nachdem sie sich hingelegt hatte, zugingen wie Garagenrolltore, den absolut ernsten Ausdruck. Zuvor hatten sie Scrabble gespielt.
Pippa entdeckte die alte grüne Schachtel beim Stöbern in einem Schrank.
»He, warum spielen wir das nicht mal?«
Xavier, in der Hand ein Glas Wein, sah kurz vom Fernsehen auf und zog eine Augenbraue hoch.
»Sind wir schon so verzweifelt?«
»Halt die Klappe. Ich spiel gern Scrabble.«
»Aber ich glaube nicht, dass du es gern mit mir spielst.«
»So? Und warum nicht?« Sie holte bereits das Brett aus der Schachtel.
»Weil ich Turnierspieler bin.«
»Ach, wirklich !« Sie schüttelte den Samtbeutel und wuschelte ihm spöttisch durchs Haar. »Also, ich war die beste Nachwuchsdiskuswerferin von Großbritannien, aber ich lauf deswegen auch nicht mit einem Orden rum.«
Er brachte sie dann tatsächlich zur Weißglut, mit 53 Punkten für JÄTE , JA , ÄS und ET in einem Spielzug.
»Die kannst du nicht legen! Das sind keine Wörter!«
Xavier nahm lässig ein zerfleddertes kleines Buch aus der Schachtel.
»Zum Glück hab ich für genau solche Diskussionen ein Scrabble-Wörterbuch.«
»Aber ET ist doch ein Eigenname!«
»Wenn du in dieses Wörterbuch guckst, siehst du, dass es auch ›und‹ bedeutet.«
»Und ÄS …?«
»Das ist der Imperativ von äsen , du weißt schon, was Hirsche machen.«
»Wie soll ich denn jetzt noch gewinnen«, fragte sie kurz darauf, »wo du schon so weit vorn liegst und ich bloß so kleine Schrottbuchstaben hab« – sie zählt an den Fingern ab – » und wo ich weiß, dass du gute hast, wenn ich sehe, wie du grinst.«
»Du sollst ja auch nicht gewinnen. Ich bin derjenige, der gewinnt. Das hab ich dir doch gleich gesagt.«
Sie schenkte sich noch ein Glas Wein ein.
»Wenn du wirklich meinen Rat wissen willst«, fuhr Xavier fort, »dann musst du entweder mit einem X- oder Y-Wort
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