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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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fragen, was aus dem armen Kerl wohl geworden ist. Aber das ist noch zwanzig Jahre hin. Im Moment sieht er einfach nur rot.
    »Sir.«
    »Hör zu, Julius«, sagt Andrew Ryan. »Wie viel zahlen wir dir, damit du hier hinten mein Geschirr zerdepperst?«
    »Fünf Pfund die Stunde.«
    Ryan nickt, greift in seine Tasche, zieht einen zerfledderten Zwanzig-Pfund-Schein aus der Tasche und wirft ihn vor Julius auf den Boden.
    »Da. Mit Bonus.«
    Julius hebt den Kopf und sieht ihn verständnislos an.
    »Und lass dich bloß nicht wieder hier blicken. Du bist gefeuert.«
    »Wie bitte, Sir?«
    »Du bist gefeuert. Ich rede mit dem Manager. Wir können auf deine Dienste verzichten.«
    Andrew Ryan stemmt die Hände in die Hüften und schüttelt wichtig den Kopf. Er zieht einen Streifen Kaugummi aus der Hosentasche. Julius schluckt. Seine Kehle ist trocken. Er ist so müde, dass er fast aus den Latschen kippt.
    »Bitte, feuern Sie mich nicht.«
    Ryan, der sich halb weggedreht hat, schaut widerstrebend zurück.
    »Was?«
    »Ich brauche das Geld.«
    »Ich kann dich nicht hören.«
    Julius schluckt noch einmal. Sein Adamsapfel kommt ihm so groß wie eine Billardkugel vor.
    »Ich brauche das Geld, Sir.«
    »Das Geld!«, sagt Andrew spöttisch. »Weißt du was, Julius, wir alle brauchen das Geld. Ein paar von uns schuften sich den Buckel krumm für ihr Geld, nur damit uns so eine blöde Kuh in der Zeitung runtermacht, nachdem wir uns den Arsch aufgerissen haben, um den Laden hier aufzuziehen. Das Leben ist wirklich fies!«
    Andrew Ryan merkt düster, dass er redet wie in irgendeinem Mafia-Streifen oder wie in einem von diesen Achtziger-Jahre-Filmen, mit Geschäftsleuten in Hosenträgern. Er wirft einen letzten Blick auf die teigige, deprimierte Gestalt in seiner Küche, jenen jungen Mann, den er am nächsten Morgen vergessen und an den er zwei Jahrzehnte lang nicht denken wird, und stürmt zur Küchentür hinaus.
    Julius Brown hat seinen Job verloren, weil Andrew Ryan sich betrunken hat und die Beherrschung verlor, weil Jacqueline Carstairs eine gemeine Kritik über sein Restaurant schrieb, weil ihr Sohn vor ein paar Wochen an einem verschneiten Tag verprügelt wurde, weil es Xavier nicht gelang, einzugreifen und ihm zu helfen. Aber soweit er weiß, hat man ihn einfach an die Luft gesetzt, weil er einen Teller fallen gelassen hat.

IV Am Sonntagmorgen liegt Xavier im Bett und denkt an einen anderen Sonntagmorgen vor knapp sechs Jahren, als Bec im Kreißsaal des St. Vincent’s Hospital war.
    Chris und Matilda verbrachten sieben Stunden in einem Café um die Ecke vom Krankenhaus, sie blieben zum Mittag, zum Kaffee und zum Abendessen und hatten immer noch nichts gehört. Sie versuchten, über andere Themen zu reden, aber aus allen war schnell die Luft raus.
    »Nicht mal ich würde so lange hier bleiben wie ihr«, bemerkte der Besitzer, »und es ist mein Laden.«
    Aber als die Schatten über Melbourne länger wurden, erschien in der Ferne Russell; wild mit den Armen fuchtelnd kam er angerannt und sah aus wie ein Büffel, der durch eine Schlucht prescht.
    »Du meine Güte«, sagte Chris.
    »Scheiße«, sagte Matilda, »ich hoffe, es ist alles –«
    »Junge«, keuchte Russell mit glänzendem Gesicht, das Hemd dunkel und schwer von Schweiß. »Es ist ein Junge, es ist ein Junge. Sie hat einen Jungen bekommen.«
    Sie fielen ihm um den Hals, und die drei hüpften neben dem Plastiktisch mit den letzten halbausgetrunkenen Tassen Kaffee auf dem karierten Linoleumboden herum, unter den nachsichtigen Blicken des Wirts, der in fünfzehn Jahren in seinem Café neben dem Krankenhaus schon alles gesehen hatte: Geburtsnachrichten wie diese; aber auch die reglosen, panzerartigen Gesichter derjenigen, die gerade jemanden verloren hatten.
    Er gab ihnen eine Flasche billigen Sekt aus.
    »Ihr habt mir heute schon fast einen Urlaub finanziert.«
    Russells Hand zitterte so sehr, dass Chris ihm kaum einschenken konnte. Die Viererbande war jetzt zu fünft. Chris legte Matilda einen Arm um die Taille, sie hoben ihre Gläser zum Anstoßen und fühlten sich schon betrunken, bevor sie einen Schluck genommen hatten.
    Der Wind trägt leises, wehmütiges Glockenläuten von der Kirche eine halbe Meile entfernt herüber, und Xavier greift nach der Erinnerung, als könnte er sie wirklich anfassen, bevor er sie wieder loslässt.
    Nicht weit entfernt schläft der übergewichtige Teenager Julius Brown bis ein Uhr nachmittags, nur mit einer kurzen Unterbrechung, als sich seine

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