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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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jetzt schon zwanzig Minuten später. Roger beißt die Zähne zusammen. Er spürt sein Herz pochen. Er sieht Ollies höhnisches Gesicht vor sich. Irgendjemandem wird es bald leid tun, wie mich alle behandeln, denkt Roger. Irgendjemandem wird das bald sehr leid tun.
    »Der Grund dafür, dass es so ein Problem für mich darstellt«, sagt Roger, während Maggie geduldig nickt, »der Grund ist, dass Respekt in meinem Beruf das A und O ist. Wissen Sie, was ich meine? Ohne Respekt kann ich meinen Beruf nicht ausüben. Ich kann meinen Mitarbeitern nicht sagen, was sie zu tun haben, wenn sie mich für blöd halten. Und das kommt mir wie ein jämmerliches Versagen vor. Ein Mann um die fünfzig zu sein. Und nicht … keine Autorität zu besitzen. Wissen Sie, was ich meine?«
    Ja, denkt Maggie erschöpft, ich weiß, was Sie meinen, denn sie führt genau dieses Gespräch jede Woche mit ihm. Es wundert sie nicht, dass sich seine Angestellten über ihn lustig machen. Wie hat er es eigentlich je geschafft, dickfellig genug zu sein, um Chef eines Immobilienbüros zu werden?, fragt sie sich.
    »Ich finde, Sie sollten sehr vorsichtig mit dem Wort Versagen umgehen«, sagt Maggie und denkt: ›Oh je, ich platze gleich, ich muss zur Toilette, sonst explodiere ich auf der Stelle.‹ Die Sitzung dauert noch fünfundzwanzig Minuten.
    »Wissen Sie, der Grund, warum mich diese Kurznachricht so getroffen hat«, fährt Roger fort.
    Kurznachricht ! Warum kann der nicht SMS sagen wie der Rest der Welt auch? Wahrscheinlich spricht er auch noch von VHS -Kassetten und seinem Fernsehgerät .
    Maggie weiß, dass sie ungerecht ist, aber sie hat die Probleme der Leute plötzlich satt, ihr Geschniefe und Geheule. Noch nicht einmal plötzlich. Sie hat das alles schon seit Jahren satt. Models mit glasigem Blick. Narzissten. Sexsüchtige.
    »Der Grund, warum sie mich so getroffen hat.«
    Er hat die nervtötende Angewohnheit, Sätze immer wieder von vorn zu beginnen, ganze Absätze sogar, und jedes Mal hat sie das unerträgliche Gefühl, auch die Uhr wäre zurückgedreht worden. Unglaublich, aber es sind immer noch fünfundzwanzig Minuten; irgendeine magnetische Kraft scheint den Zeiger auf dem Ziffernblatt festzuhalten, und Roger fängt zum x-ten Mal von vorn an.
    »Es hat mich so getroffen, weil, na ja, wissen Sie, wenn man etwas zufällig mitbekommt, ist es umso schlimmer, denn …«
    Auch das ist typisch für ihn, Aussagen wie: »Es ist schlimmer, auf indirektem Wege zu erfahren, dass einen jemand nicht ausstehen kann« oder »Es ist beschämend, wenn man hintergangen wird«, als wäre er der erste Mensch auf Erden, der das feststellt. Eigentlich tun sie das alle, alle kommen sie in ihre Praxis und reden, als wären ihre Neurosen verblüffend, als hätten sie einen bemerkenswerten Einblick in die Natur des Menschen gewonnen, und keiner von ihnen hat eine Ahnung, wie viel Mal am Tag Maggie wortwörtlich dasselbe hört, dieselben wiedergekäuten Probleme. Meine Güte. Ihre verstopften Gedärme grummeln ungeduldig; ihr Bauch fühlt sich an wie eine Schüssel heißer Suppe. In solchen Momenten drängt sich ihr das Wort Eingeweide unangenehm ins Bewusstsein.
    »Nun, ich weiß, sie haben gesagt, ich soll das Wort Versagen vermeiden, ich weiß, es weckt eine Fülle negativer Assoziationen, und ich habe darüber nachgedacht und versucht, die Dinge auf eine, nun ja, positivere Art auszudrücken, falls Sie verstehen, was ich meine. Aber …«
    Maggie ist aufgestanden.
    »Es tut mir leid, Sie zu unterbrechen, Roger, aber ich muss mal kurz raus. Bin gleich wieder da.«
    Er sieht sie verständnislos an.
    »Ich muss nur kurz zur Toilette. Bin gleich wieder da.«
    Gekränkt sitzt er da und horcht auf ihre schnellen Schritte im Flur. Das ist mal wieder typisch, denkt er. Erst kommt sie zu spät, dann hört sie ihm kaum zu, und jetzt springt sie auch noch mittendrin auf und geht raus; so geht das nicht, vor allem, wenn man bedenkt, was er zahlt. Wenn er mitten in einem Meeting mit einem Bauträger einfach so aufstehen und sich entschuldigen würde! Aber klar, so springen die Leute eben mit Roger um. Das reicht, bis hierhin und nicht weiter. Er rüstet sich innerlich für eine Konfrontation.
    Maggie wirft die Tür zu, schließt ab und versucht, nicht an das amüsierte Gesicht des Empfangspüppchens zu denken. Sie reißt ein Knäuel Toilettenpapier ab und stopft es in die Schüssel, um das Geräusch zu dämpfen, dann setzt sie sich eilig und merkt, wie ihr Herz rast.

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