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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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würde sein Kopf von einer riesigen Faust gequetscht, und der Boden und die Wände spielen seinen Augen heimtückische Streiche und weigern sich, an Ort und Stelle zu bleiben. Ich bin immer noch besoffen, denkt er, meine Güte, hab ich viel getrunken. Diese Erinnerung führt ihn zurück zu den anderen, dem furchtbaren Wortwechsel an der Tür, und dann noch weiter zurück zu jener Folge von Ereignissen, die ihn hierher gebracht hat, dazu geführt hat, dass er sich so weit aus der Welt zurückzog, und dazu, dass er Pippa sinnlos anschreit, weil sie Dinge sagt, die wahrscheinlich stimmen.
    Xavier ist übel. Nach einigem Suchen findet er sein Handy auf dem Wohnzimmerboden vor dem Sofa. Der ganze Raum, mit den soßenbekleckerten Styroportrümmern und den zerdrückten Kissen, mit Pippas Spuren und ihrem schneller werdenden Atem, der noch immer in der Luft hängt, ist von einer Atmosphäre des Bedauerns erfüllt, einer wehmütigen Erinnerung an das, was sich dort kurz abspielte. Jetzt sei nicht albern, denkt Xavier, reiß dich zusammen, Herrgott noch mal. Er braucht drei Anläufe, um Murrays Nummer in seinem Handy zu finden.
    »Xav? Dich wollte ich nachher eh noch anrufen – ich hab eine Bombenidee für heute Abend, und zwar, dass die Leute irgendwen für immer aus dem Fernsehen verbannen können, so nach dem Motto: Ruft an und sagt uns, wen ihr nie wieder –«
    »Murray, mir geht’s nicht gut. Ich kann heute nicht.«
    Murray verschlägt es für einige Sekunden die Sprache. Xavier hat in den letzten fünf Jahren noch nie abgesagt.
    »Ich muss mir irgendeinen Virus oder so was eingefangen haben. Ich bin krank.«
    »W-w-w-w-«, beginnt Murray, aber das Wort und er kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. »Hast du schon …?«
    »Roland rufe ich jetzt an. Dann schickt er einen von diesen Jungs als Vertretung.«
    »Okay.« Murray klingt immer noch bestürzt. »N-na dann … Ich hoffe, du bist morgen wieder fit. Wir haben eine Wahnsinnswoche vor uns.«
    Es gibt keinen Grund, warum diese Woche »wahnsinniger« sein sollte als jede andere, aber Xavier sagt nichts dazu; er will das Gespräch beenden und sich wieder schlafen legen. »Wird schon, wird schon. Wie war’s gestern Abend?«
    »Ganz gut.«
    Xavier kann sich Murrays gequältes Gesicht vorstellen und sieht förmlich vor sich, wie er mit den Händen durch seinen Haarwust fährt.
    »Ich hätte fast diese eine Polin abgeschleppt. Die war vielleicht scharf, da wären dir die Augen rausgefallen. Aber ich hab wohl ihre Körpersprache falsch interpretiert. Na ja, wir sind dann nach Hause, sie und ich, aber nicht zusammen.«
    Xavier ruft Roland an, seinen Chef; auch er ist verwundert, aber entgegenkommend. Als das Gespräch beendet ist, will Xavier sofort zurück ins Bett, aber das Telefon ruft nach ihm.
    Es ist Murray. Xavier seufzt tief, geht aber ran.
    »Hör mal, ich hab mir was überlegt. Könntest du vielleicht ein gutes Wort für mich einlegen, damit ich – damit ich heute Abend mal eine Solosendung machen kann?«
    »Solo …? Wie, du willst moderieren? Du ganz allein?«
    Murray klingt flehend.
    »Xavier, ich … ich bin schon viel länger dabei als du und die m-m-meisten anderen. Alle sind irgendwann mal an der Reihe. Aber ich, weil ich stottere und so, ich hab es viel schwerer. Außerdem weiß ich nicht, ob die Chemie stimmen würde, wenn statt dir jemand anders käme.«
    »Es ist doch nur für einen Abend, Murray.«
    »Ja, aber trotzdem.«
    Xavier seufzt innerlich über Murrays Bitte. Er weiß, dass sie zum Teil von Murrays Irrglauben herrührt, er könnte durch eine blendende Leistung seine Vorgesetzten beeindrucken und sein Ansehen innerhalb des Senders steigern, und Xavier kann wenig tun, um seinen Freund von dieser Illusion zu kurieren. Aber es ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen – genau wie Murray gesagt hat –, dass ein Ersatzmoderator einem Stotterer wie ihm gegenüber keinerlei Nachsicht zeigen und hinterher überall erzählen könnte, dass er nicht einen witzigen Satz herausgebracht habe – dass er auch auch sonst nicht viel herausbringt. Dieser Gedanke treibt Xavier dann doch dazu, Roland anzurufen.
    Der ist skeptisch.
    »Wir haben Murray vor Jahren mal ein paar Sendungen allein machen lassen, wenn Malcolm nicht konnte, und die waren eine Katastrophe. Ich meine, das war ja überhaupt erst der Grund, warum du die Sendung übernommen hast.«
    »Er ist aber viel besser geworden.«
    »Was, bringt er jetzt die Wörter zu Ende?«
    Xavier

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